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Unter dem Eis

Unter dem Eis

Titel: Unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Klangpotpourri, die enge Straße endet in einer Art holprigem Gehweg, dessen Seiten dicht an dicht bebaut sind mit winzigen Häusern, die Schrebergartenbaracken gleichen. Ralf Neissers Elternhaus trägt die Hausnummer 73 . Es sieht vernachlässigt aus, Bauschutt und Farbeimer türmen sich daneben. Statt eines Gartentors dient ein freistehendes chinesisches Tempeldach mit rot lackierten Drachen als Eingang, absurd kitschig, deplatziert und überdimensioniert. Da es keinen Klingelknopf gibt, zieht Manni am Seil einer Glocke.
    »Garten!«, schreit eine Männerstimme.
    Manni nimmt dies als Einladung, lässt die Drachen hinter sich und schlängelt sich an einem verbeulten Opel Manta vorbei. Der Garten hinter dem Haus ist ebenfalls winzig, verwitterte Holzsichtschutzelemente dienen als Begrenzung zu den Nachbarn und verstärken das Gefühl von Enge. Leere Bierkästen, noch mehr Bauschutt und ein paar Plastikgartenstühle liegen herum. Der Sprecher selbst thront rotgesichtig und Bier trinkend in einem Aufblas-Planschbecken und sieht Manni erstaunt entgegen. Offensichtlich hat er jemand anders erwartet. Aus einem tragbaren TV-Gerät näseln die dümmlichen Stimmen irgendwelcher Seelenstriptease-Talkshowteilnehmer.
    »Guten Tag, ich suche Ralf Neisser.«
    »Polente«, sagt der Planschbeckenmann. Auf seiner feisten, dicht behaarten Brust protzt eine Goldkette. Der Bauch hängt über eine knielange Bermudashorts mit Palmenmuster.
    Manni wedelt mit seinem Ausweis. Der Mann nimmt einen langen Zug aus seiner Flasche, schluckt, angelt nach einer Schachtel Marlboro und spuckt aus, haarscharf am Poolrand vorbei ins trockene Unkraut.
    »Ralf is’ nicht da, was willste denn von ihm?«
    »Ich ermittle in einem Mordfall. Ich will ihm ein paar Fragen stellen.«
    »Mein Junge hat nix mit Mord zu tun.« Neisser seniorrutscht aus seiner bislang eher liegenden in eine sitzende Position und lässt den Bizeps schwellen.
    »Ich betrachte ihn als Zeugen«, sagt Manni und muss auf einmal an seinen Vater denken, der ihn nie in Schutz genommen hat. Wenn sich jemand über Manni beschwert hat, hat Günter Korzilius sich augenblicklich für seinen Sohn entschuldigt, und später, zu Hause, hat er dann zugeschlagen, ohne jemals auf die Idee zu kommen, dass das womöglich ungerecht sei, ohne sich auch nur im Geringsten für Mannis Version des Sachverhalts zu interessieren. Sein Handy fiedelt und bewahrt ihn so vor weiteren Gedanken, die doch nichts bringen. Die Stimme der Krieger klingt hektisch und hell.
    »Ralf Neisser«, sagt sie. »Der hat einen Großvater in Frimmersdorf, den er manchmal besucht, das hab ich gerade überprüft. Elisabeth Vogt könnte unseren Ralle gesehen haben, am Tag, als sie den toten Dackel fand. Außerdem meint sie sich an ein Mofa zu erinnern.«
    »Ich kümmere mich drum.« Manni zwingt sich, ruhig zu bleiben, dem wachsamen Blick von Ralfs Vater keinen Angriffspunkt zu geben.
    »Kannst du nicht sprechen?«, fragt die Krieger.
    »So isses.«
    »Was ist mit Tim?«
    »Nada. Immer noch niemand zu erreichen.«
    »Mist.«
    Manni schiebt das Handy zurück in die Hosentasche. Der Mann im Planschbecken scheint instinktiv erfasst zu haben, dass sich das Blatt gewendet hat, und zwar nicht unbedingt zugunsten seines Sohnes. Er wirkt jetzt wie ein verdrossenes Kleinkind. Beargwöhnt Manni mit rot unterlaufenen Trinkeraugen.
    »Ralf hat nix gemacht!«
    Die Schläge waren nicht so schlimm. Das Schlimme war die Ungerechtigkeit. Die und das Desinteresse. Väter und Söhne, warum ist das so verdammt schwer und warum zieht ausgerechnet ein Ralf Neisser das große Los in Sachen Vaterliebe? Aber natürlich ist keineswegs sicher, wie es um Neisser seniors Solidarität mit dem Filius bestellt ist, wenn sich die Staatsmacht entfernt hat. Manni bückt sich nach einem Gartenstuhl, stellt ihn auf, überprüft die Stabilität und setzt sich darauf. Ein Machtspiel. Ein Machtspiel, für das er weder Zeit noch Nerven hat. Ein Machtspiel, das er trotzdem beherrscht.
    »Ihr Vater lebt in Frimmersdorf.«
    Der Planschbeckenmann nickt und genehmigt sich noch einen Schluck aus der Flasche, schmeißt sie dann hinter sich.
    »Hat Ralf ein Mofa?«
    »Is’ kein Verbrechen.«
    »Ich brauche das Kennzeichen.«
    »Keine Ahnung. Frag Ralf.«
    Manni streckt die Beine aus, wie jemand, der nicht vorhat, bald wieder aufzustehen. Er betrachtet die Hausfassade, das Planschbecken, den Bauschutthaufen, in dem sich auch ein Teppichrest befindet.
    »Drogen«, sagt er

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