Unter dem Eis
auf eine neue Weise lernen mussten, eine Familie zu sein.
»Entschuldigung, ich suche meinen Mann. Frank.«
Der Pfarrer sieht sie an.
»Wir wollten ihn abholen.«
»Er ist nicht mehr hier.«
»Nicht mehr hier.«
»Wissen Sie das denn nicht? Seit einem halben Jahr ist er nicht mehr dabei.«
»Lene, Leander!« Ihre Stimme klingt scharf. Sie zerrt ihre Kinder zurück zum Bollerwagen. Der Pfarrer heftet sich an ihre Fersen. »Ich war mir sicher, das hat er mit Ihnen besprochen.«
Lene und Leander merken, dass etwas nicht stimmt. Freiwillig klettern sie in den Wagen, ungewohnt folgsam. Martina läuft los und singt ihnen ein Lied vor, damit sie ihr keine Fragen stellen. Sie ist erstaunt, dass ihre Stimme trägt.
Freitagnachmittags gab es einen Theaterkurs, den sie eigentlich gern besucht hätte. Aber der Gesprächskreis tat Frank gut und sie können die Kinder ja nicht immer bei seinen Eltern parken, also hat Martina verzichtet. Zugänglicher ist Frank durch den Gesprächskreis geworden. Gelassener. Er hat die Kinder nicht mehr so oft angeschrien. Geredet haben sie nicht viel über das, was er bei seinen Treffen erlebte. Er ist nie ein Mann vieler Worte gewesen, und sie hat gelernt, ihn nicht zu bedrängen. Aber ein Teil des Drucks ist durch die Männergruppe von ihm abgefallen, ihre Ehe ist besser geworden. Das hat sie schnell gespürt und das war ihr genug.
Sind Sie sicher, dass Sie Ihrem Mann vertrauen können? Martina singt immer weiter, immer noch ein Lied fällt ihr ein.Es muss der Schock sein, dass sie das kann. Oder ihr Muttertrieb. Es ist ihr egal, solange die Kleinen Ruhe geben und lachen und sie nicht denken muss.
Spürhunde, Kriminaltechniker, stickige Hitze. Das Wäldchen neben dem Frimmersdorfer Kraftwerk wimmelt von Polizeibeamten, die Dorfbevölkerung drängelt sich am Absperrband. Die Leiche eines toten Jungen neben ihrem Kraftwerk, das ist eine Sensation, das treibt sie aus ihren Häusern. Das einzige Problem ist, dass es bislang keine Leiche gibt, wenn man von dem Dackel einmal absieht. Mannis Handy vibriert, zum wievielten Mal an diesem Tag eigentlich?
»Du rätst es nie!«, verkündet Karl-Heinz Müller fidel.
»Was?«
»Woran dein Dackel gestorben ist!«
Zu viele offene Fragen, zu wenig Zeit und jetzt auch noch Rätselraten. Immerhin hat sich der Zustand der Zeugin Elisabeth Vogt inzwischen stabilisiert. Pater Lehmann wacht an ihrem Bett, später wird ihn Carmen Vogt mit ihrer Leichenbittermiene ablösen. Es war die beste Lösung, der Hausarzt hat strikte Bettruhe verordnet, ins Krankenhaus wollte die alte Dame aber auf keinen Fall. Barabbas, Barabbas, hat sie wieder und wieder gefleht. Der Name ihres altersschwachen Schäferhunds, wie sich herausstellte. Als Manni sie verlassen hat, lag das Vieh treuergeben neben ihrem Bett und leckte ihre Hand, was Elisabeth Vogt zu beruhigen schien. Vernehmungsfähig wird sie frühestens morgen wieder sein. Manni räuspert sich. Sein Hals ist trocken, er hat zu wenig getrunken und schwitzt wie ein Stier in der Sauna.
»Sag mir, was mit dem Dackel ist, Karl-Heinz, wenn du schon so fragst, komm ich ja doch nicht drauf.«
»Ich geb dir einen Tipp.« Der Rechtsmediziner stößt deutlich hörbar einen Schwall Zigarettenrauch in den Telefonhörer, dann beginnt er offenbar, in die Hände zu klatschen. Ein schneller Rhythmus. Hektisch. Nervtötend. »Dff – dff – dff – dff«, summt er dazu. »Na?«
»Keine Ahnung.« Manni fühlt, wie sich seine Geduld rapide erschöpft.
»Disco.«
»Disco?«
»Techno.«
»Techno? Bitte, Karl-Heinz. Hier ist die Hölle los.«
»Durch die chemisch-toxikologischen Untersuchungen wurde eine akute Beeinflussung durch MDMA zum Todeszeitpunkt nachgewiesen. MDMA 84 ng/ml Serum, um präzise zu sein. Ein Designer-Amphetamin, das auch unter dem Namen Ecstasy gehandelt wird.«
»Jonnys Dackel war auf Droge?«
»Ohne jeden Zweifel. Wie gesagt, wir sind ein rechtsmedizinisches Institut, keine Tierpathologie, diese Untersuchung geschah aus fachlichem Interesse und weil wir nette Menschen sind. Dennoch wage ich es, mich hier festzulegen: Die nachgewiesene Menge MDMA im Blutspiegel des Dackels würde selbst bei einem Menschen einen erheblichen Rausch, wenn nicht gar einen Kreislaufzusammenbruch verursachen, eventuell sogar zum Atemstillstand führen.«
»Ein Technodackel. Ich fass es nicht.«
»Yep. Todeszeitpunkt Samstag oder Sonntag kommt übrigens hin. Was ist mit dem Jungen?«
»Vorerst kannst du wieder Boule
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