Unter dem Feuer - Silvanubis #1 (German Edition)
sein Blick auf einen Baum an der anderen Uferseite fiel. Alexander nahm die Fackel und leuchtete in dessen Richtung. Der Bach war nicht breit, vielleicht drei Meter, keine Hindernisse blockierten den warm leuchtenden Feuerschein und so erreichte das Licht den kleinen Baum problemlos. Solche Blätter hatte er noch nie gesehen. Er hatte eine Idee. Allerdings musste er dafür durch das eisige Wasser waten. Er zog Schuhe und Socken aus, krempelte seine Hose hoch und durchquerte den eiskalten Bach in einigen Sätzen. Oskar, der freudig feststellte, dass sein Bad doch noch kein Ende genommen hatte, kläffte fröhlich in die nächtliche Stille. »Psst … leise, Oskar.« Alexander stand fasziniert vor dem kleinen Baum. Er war nicht viel höher als er selbst, kugelrund und an den Ästen hingen lange, große Blätter. Vorsichtig pflückte er ein solches und begutachtete es. Hm, das müsste eigentlich funktionieren. Das Blatt war wie ein Beutel geformt, wie eine große Aubergine mit einer kreisrunden Öffnung. Unglaublich. Behutsam tauchte er es unter, füllte es und staunte. Das Blatt hielt das Wasser problemlos. Wie viele von diesen Blättern konnte er wohl tragen, ohne das kostbare Nass zu verschütten? In jeder Hand zwei, die Flasche konnte er sich um den Hals hängen. Vorsichtig füllte er vier Kelche, balancierte durch den Bach zum anderen Ufer und pfiff Oskar zu sich. Gehorsam folgte der Hund und sammelte die Socken seines Herrchens mit seiner feuchten Schnauze ein. Alexander schlüpfte barfuß in seine ausgetretenen Schuhe und ließ den leise gurgelnden Bach hinter sich. Der Rückweg zum Lager dauerte doppelt so lange, doch dort angekommen blickte er stolz in seine vier Blätterkelche. Er hatte fast nichts von der kostbaren Flüssigkeit verschüttet! Kaum hatte er das Feuer erreicht, erlosch die kurzfristige Euphorie. Ja, er hatte Wasser, aber schließlich konnte er nicht stundenlang herumstehen und die Blätter festhalten. Und nun? Grübelnd betrachtete er die vier Beutel.
»Man kann … sie aufhängen. Ollaris-Blätter, nicht schlecht.«
Nun hätte er seinen kostbaren Schatz beinahe fallen gelassen. Naomi brachte, auf beide Ellbogen gestützt, ein schwaches Lächeln zustande. Alexander atmete auf, es schien ihr ein wenig besser zu gehen.
»Oben an der Öffnung, dort wo du sie gepflückt hast.«
Ihre Stimme war leise und ihre Augen hatten immer noch den fiebrigen Glanz, doch sie war bei Bewusstsein. Kritisch drehte Alexander das randvolle Blatt, betrachtete den hakenförmigen Stiel und hängte es vorsichtig an den Ast einer kleinen Birke. Der Beutel neigte sich ein wenig zur Seite, einige Tropfen Wasser fielen auf den Boden, doch der Stiel hatte sich fest um den dünnen Ast des Baumes gewickelt. Erleichtert befestigte er auch die anderen drei Blätter und reichte Naomi schließlich die kleine Feldflasche.
»Durst?«
Sie nickte.
»Ich auch.«
Überrascht drehte sich Alexander um. Anna stand hinter ihm, ein wenig verschlafen, aber neugierig. Naomi hielt ihr die Flasche hin und Anna ergriff sie mit einem leichten Stirnrunzeln.
»Geht es dir besser, Anna? Warum schläfst du nicht noch ein wenig?« Alexander massierte sich die pochenden Schläfen.
»Ich fühle mich besser, danke der Nachfrage.«
Er spürte ihren besorgten Blick.
»Du schläfst ja auch nicht. Mensch, siehst du fertig aus. Du solltest dich wirklich ein wenig ausruhen.« Anna setzte sich neben die blonde Frau auf den Boden und betrachtete sie kritisch. »Außerdem verpasse ich hier ja sonst alles.« Sie hielt der Fremden freundschaftlich ihre Hand entgegen. »Ich bin Anna.«
Naomi nickte ihr zu, verlagerte ihr Gewicht auf die rechte Seite und streckte ihr den linken Arm entgegen, zog ihn aber mit schmerzverzerrtem Gesicht rasch wieder zurück. »Naomi«, murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
»Ach du lieber Himmel.« Jetzt erst entdeckte Anna den dunklen Fleck auf dem Hemd. »Du bist ja verletzt.«
Die junge Frau versuchte es mit einem Lächeln, das ihr zu einer gequälten Grimasse entglitt. Langsam ließ sie sich zurück auf den Boden sinken. Anna blickte unsicher zu Alexander.
»Was ist denn passiert? Und was machen wir jetzt? Du bist nicht zufällig Arzt?«
Alexander schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Ich bin leider nur Schreiner. Meine Erste-Hilfe-Kenntnisse sind mehr als dürftig. Ich hatte gehofft, du wüsstest vielleicht, wie wir Naomi helfen können.«
Anna runzelte die Stirn. »Meine Eltern … Ich habe nur einen
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