Unter dem Räubermond
schicken.«
»Und was habt ihr ihm geantwortet?«
»Wir haben ihn zum Kamel geschickt«, antwortete Tiangi ruhig. »Was konnten wir ihm auch sonst antworten?« Er wog das Metallding in der Hand und hielt es plötzlich Ar-Scharlachi hin. »Soll ich es dir schenken?«
Der schreckte zurück, blieb aber stehen. »Nein …«, sagte er tonlos. »Ihr habt uns schon alles Mögliche geschenkt … Kampfschilde, stählerne Ketten mit Handschellen …«
Ar-Scharlachi konnte nicht zu Ende sprechen. Der vor drückendem Glast dunkle Zenit schien aufzubrechen. Pfeifen und Dröhnen. Dreimal fuhr ein schmutzig rauchiger Streifen mit dem schrecklichen Krachen reißenden Eisens quer über den Himmel und verschwand hinterm Horizont. Und im nächsten Augenblick stieg dort, wo eben noch ein Staubpilz geschwankt hatte, ein Feuerball auf. Drei Feuerbälle.
»Das war’s«, sagte Tiangi. »Der Weg ist frei. Aber du, Ar-Scharlachi, überleg es dir. Wir machen selten jemandem ein Angebot …«
25
Irgendwohin
D arf ich meine Meinung zum Ausdruck bringen, Ehrwürdiger?«
Eine Zeit lang musterte Tamsaa das dunkle, leidenschaftslose Gesicht des Sekretärs. Aber vielleicht war es ihm nur so vorgekommen … Die Ähnlichkeit … Nun ja, letzten Endes sehen sich alle jungen Leute in gewisser Hinsicht ähnlich. Wie übrigens auch die Älteren. Viele finden zum Beispiel, dass man Tamsaa selbst und seinen geschworenen Feind, den Karawanenführer Chaïlsa, von hinten schwer unterscheiden könne: die gleiche Haltung, die gleiche Figur …
»Sprich.«
»Es ist jetzt nicht angebracht, das dem Herrscher zu berichten.«
»Warum?«
»Der Herrscher ist nicht bei Laune.«
Merkwürdig! Tamsaa kniff die Augen zusammen. Woher sollte dieser junge Spund von einem Sekretär, der keinen Zutritt zu den inneren Gemächern hatte, wissen, in welcher seelischen Verfassung sich Ulqar befand?
»Und wie ist dir das bekannt geworden?«
»Ich habe den Eindruck.«
Der ehrwürdige Tamsaa sprang auf und warf das Pergament auf den Tisch. Es schien, als werde der Würdenträger jeden Augenblick seinem Zorn freien Lauf lassen, wie es bei ihm öfters vorkam, doch die runden Schultern unter der roten Seide des Kittels erschlafften plötzlich, die Fäuste öffneten sich, Tamsaa ging dicht an den Sekretär heran und fragte ihn sehr leise: »Wem dienst du, Irwa?«
»Dir, Ehrwürdiger.«
Er sprach das sehr ernst aus und ohne eine Spur von Liebedienerei. Er war nicht zusammengezuckt, wunderte sich aber auch nicht über die Frage. Ein paar Sekunden lang blickte Tamsaa wütend in die unbewegten schwarzen Augen, dann fauchte er gereizt und wandte sich ab. Er legte die Hände auf den Rücken.
»Und wie kann ich es verschweigen, wenn ich den Befehl habe, alles zu berichten, was auch nur in der Nähe der nickenden Hämmer vor sich geht?«, erkundigte er sich.
»Aber die eingetroffenen Nachrichten sind gar zu unglaublich«, bemerkte der Sekretär sanft. »Man kann an ihrer Echtheit zweifeln und Bestätigungen verlangen. Das dauert mindestens drei Tage.«
Tamsaa wandte sich um. »Gut. Drei Tage. Und danach?«
»Und danach wird der Herrscher höchstwahrscheinlich keinen Sinn mehr dafür haben.«
Das bedrohliche Lächeln des Würdenträgers hätte jeden anderen erzittern lassen. Aber nicht Irwa.
»Keinen Sinn wofür, wenn man fragen darf?«
»Für Meerwasser beispielsweise.«
»Ahaa …«, sagte Tamsaa gedehnt und musterte den jungen Mann beinahe bewundernd. »Du hast es also erraten?«
»Es ließ sich kaum vermeiden«, antwortete jener zurückhaltend.
»Schön. Angenommen. Und was, meinst du, wird den Herrscher ablenken?«
Diesmal antwortete Irwa nicht sofort, und seine ehrerbietige Stimme war deutlich, aber kaum hörbar: »Gedanken ans ewige Leben kommen, wenn der Thron fest steht. Er braucht nur zu wanken, und man hat keinen Sinn mehr dafür.«
Tamsaa zuckte zusammen und schaute zur Tür hin. Die Tür war fest geschlossen. Dann wandte er sich wieder dem Sekretär zu. Die großen, dunklen Augen blickten nach wie vor fest. Irwa wusste zweifellos, was er riskierte, wenn er derlei Andeutungen bei seinem Herrn und Wohltäter fallen ließ.
»Und er wird … wanken?«, fragte der Würdenträger unhörbar, nur mit den Lippen.
»Nach allem zu urteilen, ja.«
»Woher weißt du das?«, hauchte der Würdenträger.
»Ich habe den Eindruck.«
Die Kriegsgaleere war zu Kohle verbrannt. Über die schwarzen Spanten krochen träge rötlich stumpfe Flecken von Hitze. Die
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