Unter dem Safranmond
und ihr Kampfgeist. Es war der Morgen des 14. September, und der Befehl zum Sturm gellte vor den Toren der Stadt.
Schüsse und Kanonendonner, Befehlsrufe und Schmerzensschreie zerrissen den jungen Tag, Rauchschwaden vernebelten ihn. »Vorwärts«, brüllte Ralph und trieb seine Männer an, hinein in die Rebellen, die ihnen als Pulk aus dem Kabul-Tor entgegenströmten. Kleine, schmutzige, abgerissene Gestalten, denen man kaum mehr ansah, dass einige von ihnen einst Soldaten der glorreichen britischen Armee gewesen waren. Ralph feuerte unablässig aus seinen beiden Pistolen. »Nicht nachlassen, weiter!«, schrie er nach allen Seiten, sah aus dem Augenwinkel, wie seine sepoys sich vorwärtsschoben, Schritt um Schritt, getöteten Feind um getöteten Feind. Schlachtfieber ließ ihn glühen; sein Herz pumpte schnell und freudig; sein Blut schoss kochend durch seine Adern, satt von Erregung, hungrig nach Beute.
Als die Kugel ihn traf, spürte er sie kaum. Ein heftiger Schlag, irgendwo zwischen Brustbein und Magengegend, der ihn ins Taumeln brachte. Mehr nicht. Kein Schmerz. Vor ihm schlossen sich die Khaki-Reihen seiner Guides , vermischten sich mit den Farben anderer Regimenter, den schmuddeligen Stoffen der Rebellen – ein zähes Ringen, das um ihn herumwirbelte.
Delhi würde heute fallen, das spürte er. Delhi würde fallen und die Rebellion zusammenbrechen. Ralph lächelte, als er auf die Knie sank, seine Pistolen ihm entglitten, als sich der Lärm um ihn verflüchtigte, es still wurde. Still und hell, ehe sich von den Seiten Finsternis heranschob.
Ich habe es geschafft, Maya. Ich bin ein Held.
10
»Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen.« Mayas kalte Finger krallten sich in den kratzigen schwarzen Krepp ihres Rockes. Trauerkleid, Witwentracht. Schwarzer Unterrock, Krinoline, meterweise gekräuselter, rauer Stoff darüber, der ihr auf der Haut scheuerte, sogar im Nacken, wo der über den Rücken herabhängende Schleier aus transparentem Georgette sie immer wieder streifte. Ein Büßergewand für die Sünderin. Alles schwarz, ohne den geringsten Hauch von Farbe. Wie sie es verdiente.
Die Rückeroberung Delhis hatte tatsächlich den Wendepunkt in der Rebellion der sepoys bedeutet, und langsam, aber stetig neigten sich die Waagschalen des Krieges zugunsten der Engländer. Der massive Widerstand der Aufständischen vor dem Kabul-Tor hatte mehreren Regimentern der Angriffskolonne hohe Verluste beschert, und einige Vorstöße waren nötig gewesen, um das Tor schließlich zu erobern und zu durchbrechen. Von den fünfhundertfünfzig Soldaten aus Mardan, deren Marsch auf Delhi bereits jetzt Legende war, hatten dreihundertunddrei im Sturm auf die Stadt ihr Leben gelassen. Darunter auch Lieutenant Ralph William Chisholm Garrett.
»Unsinn!« Tante Elizabeths Stimme explodierte vor Empörung. »Er hat genau gewusst, worauf er sich einließ. Himmel, Kind, er war Soldat!« Seufzend erhob sie sich aus dem Sessel und ging hinüber zu dem Schrank, in dem ihr Bruder seine Spirituosen aufbewahrte, hantierte dort unter leisem, kristallenem Klirren und kehrte mit zwei gut gefüllten Gläsern zurück, von denen sie eines Maya in die Hand drückte, als sie sich neben sie auf das Sofa setzte. »Trink, mein Liebes, das hilft!«
Gehorsam nippte Maya an der goldbraunen Flüssigkeit, gab gleich darauf ein flaches, ersticktes Husten von sich. Ihre Tante, in aller Eile auf die telegraphische Nachricht angereist, Ralph Garrett sei in Indien gefallen, klopfte ihr sacht auf den Rücken. »Das wird schon wieder!« Sie ließ offen, was genau sie damit meinte.
Maya umschloss das zylindrische Glas mit beiden Händen und starrte hinein. »Ich wüsste nicht, wie«, bezog sie die Aufmunterung ihrer Tante auf Ralphs Tod.
»Ich fürchte, du musst meinem Verstand auf die Sprünge helfen, Maya. Wärt ihr beide euch nie begegnet, wäre er entweder bei seinem indischen Regiment geblieben und auch ganz ohne dein Zutun in diesem Aufstand gefallen. Oder er wäre auf die Krim gegangen. Und wie das ausgegangen wäre, das wissen wir ja alle zur Genüge.« Tante Elizabeth trank zwei, drei kleine Schlucke, senkte dann abrupt das Glas. »Jetzt hab ich’s!«, rief sie halblaut und belohnte sich für ihren Geistesblitz sogleich mit einem tiefen Zug, bevor sie ihre Nichte mitfühlend ansah und ihr über die Knie streichelte. Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern: »Du fühlst dich schuldig, weil du einen anderen mehr geliebt hast als ihn.«
Maya stellte
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