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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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dass sich dadurch kein unliebsames Härchen aus ihrer sorgfältig gescheitelten und am Hinterkopf aufgesteckten Frisur gelöst hatte. »Wirklich, Maya, allmählich wird es Zeit, dass du erwachsen wirst und nicht immer in kindischen Tagträumereien schwelgst. So findest du nie einen Mann! Und was soll dann aus dir werden, hm? Willst du ewig hier in Black Hall bei Mama und Papa bleiben?« Dabei betonte sie die Worte Mama und Papa auf der letzten Silbe, mit lang gezogenem »a« am Ende, weil das in ihren Ohren so schön vornehm klang.
    »Schon gut«, murmelte Maya, die keinerlei Neigung verspürte, dieses Thema zu vertiefen. Sie legte die Feder beiseite und schickte sich an, aufzustehen. »Lass uns hinuntergehen.«
    »In diesem Aufzug?« Angelina starrte ihre Schwester aus weit aufgerissenen Augen an.
    »Ja – warum denn nicht?« Maya blickte erstaunt an sich herunter, zuckte schließlich mit der Schulter, ehe sie sich daranmachte, den staubigen Saum ihres marineblauen Kleides auszuklopfen, zwei Finger mit Spucke zu benetzen, um damit die Schneeränder auf ihren Stiefelspitzen wegzurubbeln. Und als sie dabei bemerkte, dass die weiße Manschette ihres rechten Ärmels ein Tintenklecks zierte, schlug sie diese einfach einmal um. In zwei Schritten war Angelina bei ihr, ging ohne Rücksicht auf ihr Kleid in die Knie und nahm Mayas Hände in die ihren, schüttelte sie leicht, um dem eindringlichen Blick, mit dem sie ihre Schwester ansah, noch mehr Gewicht zu verleihen. »Ich habe dich nie um etwas gebeten, Maya.« Was zweifellos der Wahrheit entsprach, wie diese in einem kurzen Anflug von Bitterkeit dachte – Angelina hatte sich immer genommen, was sie wollte, in der felsenfesten Überzeugung, dass ihr ohnehin von Geburt an alles zustand. »Aber du musst heute Abend einfach einen guten Eindruck machen! Ralph stammt aus einer vornehmen Familie; er wird uns alle genau unter die Lupe nehmen, ehe er mich auch nur in Erwägung zieht.«
    Maya runzelte die Stirn. »Du kennst ihn doch noch gar nicht – und er dich genauso wenig!«
    »Das kommt schon noch«, gab sich Angelina zuversichtlich. »Maya, wenn du mir meine Chancen bei diesem Mann verdirbst, dann«, sie machte eine kunstvolle Pause und fügte mit Grabesstimme hinzu: »Dann werde ich dir das mein Lebtag nicht verzeihen.«
    Es war nicht so, dass Maya diese Drohung sonderlich beeindruckt hätte, aber sie wusste, Angelina würde ohnehin keine Ruhe geben, bis sie sich umgezogen hätte. Und wenn das Glück ihrer Schwester wirklich so sehr daran hing, so konnte Maya ihr durchaus diesen kleinen Gefallen tun.
    »Aber was soll ich denn …«, entgegnete sie ratlos und kam sich dabei ungeschickt und lächerlich vor.
    »Da finden wir schon was, keine Sorge.« Angelina klopfte ihr aufmunternd aufs Knie und erhob sich. Ihr Blick huschte zur Uhr, als sie mit spitzen Fingern eine von Mayas Haarsträhnen abteilte und kritisch musterte. »Viel Zeit haben wir ja nicht mehr, um daraus noch etwas Ordentliches zu machen«, seufzte sie. »Aber mir wird schon etwas einfallen!«

5
     »So können wir es lassen.« Angelinas Miene zeigte äußerste Zufriedenheit mit ihrem vollbrachten Werk, während Maya sich unsicher, aber keinesfalls ungern in dem hohen Standspiegel im Zimmer ihrer Schwester betrachtete.
    Das cognacfarbene Taftkleid hatte ihre Mutter ihr im letzten Winter anfertigen lassen, doch heute trug Maya es zum ersten Mal. Es war ihr immer zu schade gewesen, fürchtete sie doch, bei den ihr so verhassten Abendeinladungen, zu denen ihre Mutter sie mitzugehen zwang, Portwein oder Schokoladensauce darauf zu kleckern. Unter dem spitz zulaufenden Mieder bauschte sich der weite Rock, verstärkt durch mehrere Unterröcke. Fünf übereinander liegende Reihen moccabrauner Spitze entlang des Ausschnitts ließen die Schultern frei, überdeckten die kurzen Ärmel und wiederholten sich am Rocksaum. Eine große goldene Brosche mit einer Kamee aus bräunlichem Karneol am Dekolleté und ein farblich passendes Armband vervollständigten die Abendgarderobe. Vorsichtig neigte Maya den Kopf und wandte ihn nach links und rechts. »Danke«, wisperte sie glücklich.
    Die Zeit war zu knapp gewesen, um mit der Brennschere zu arbeiten und Mayas widerspenstige Locken zu einem ähnlich komplizierten Gebilde wie Angelinas Frisur zu formen. Stattdessen hatte Angelina das Haar ihrer Schwester erbarmungslos mit Bürste und Kamm bearbeitet, was Maya nur mit zusammengebissenen Zähnen ertragen hatte, schließlich mit

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