Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes
Kabarettist ohne Netz und doppelten Boden, übergießt jetzt wahrscheinlich den Leibhaftigen mit seinem Spott und amüsiert sich gut, während ich mich damit herumschlage, ein holländisches Phantom zu identifizieren und nicht mal weiß, wozu das alles noch gut sein soll …
Der Kellner half ihr mit verkniffenem Gesicht in den Mantel. Klara blies ihm den Rauch entgegen und ging grußlos.
Ich muss mich mehr zusammenreißen. Es macht keinen Sinn, auf Provokationen einzugehen oder selbst zu provozieren. Widerstand muss organisiert werden, nicht improvisiert … Deine Aufgabe ist es, dich als Rädchen im Getriebe einzufügen … Höre ich da nicht ein höhnisches Lachen aus der Unterwelt? »Meine Verzweiflung, Klara, die wird auch durch die Weltrevolution nicht besiegt, darauf bestehe ich!« So ein dummer Kerl, was würde er wohl an meiner Stelle jetzt tun? Sicher wäre er nicht hier, er wäre in Kopenhagen geblieben, bei der schwarzen Katze, wäre im »Malstrøm« auf die Bühne gestiegen und hätte das getan, was er immer tat: seine unhaltbare Position verteidigt. Wir waren uns ähnlicher, als ich es wahrhaben wollte.
Klara fröstelte. Eins steht fest, entschied sie, als sie mit weit ausholenden Schritten über das breite Großstadt-Trottoir ging, mit zusammengekniffenen Augen, Rauch und Dampf ausstoßend wie eine zornige Lokomotive, auch wenn meine Mission sinnlos wäre, ich würde sie bis zum Ende ausführen. Es sei denn … »Es sei denn, jemand hat mir einen besseren Holzweg anzubieten«, wie Kurt mal erklärt hatte. Nein, Kurs halten!
Zum Roten Rathaus und zum Schloss war es nicht weit. Zwei Tage bevor er in den Reichstag einstieg, hat Marinus van der Lubbe versucht, drei Brände zu legen. Einen im Wohlfahrtsamt von Neukölln, einen im Rathaus, einen im Schloss. Was verband diese drei Gebäude miteinander? Sie waren staatlicheInstitutionen, allerdings völlig verschiedener Art: Das Wohlfahrtsamt war ein Anlaufpunkt für Arbeitslose, die dort Unterstützung suchten. Das Rathaus beherbergte die Stadtregierung, das Schloss war seit der Novemberrevolution ein Museum. Welcher Idee folgt einer, der nacheinander diese drei Gebäude anzünden will?
Der Pförtner am Rathaus reagierte zunächst abweisend auf Klaras Presseausweis: »Wenn ich den ganzen Tag der Presse Auskunft gebe, dann kann ich meine Arbeit nicht mehr erledigen. Und Sie denken vielleicht, ein Pförtner hat nicht viel zu tun, aber da kommen auch schon wieder Leute, die mir Löcher in den Bauch fragen wollen … Sehen Sie, und die möchten bloß eine normale dienstliche Auskunft … Und in ein paar Minuten kommt eine Lieferung von der Druckerei, die wollen dann wissen, wo die Kisten hingestapelt werden sollen, und ich muss ihnen aufschließen … währenddessen wird wahrscheinlich jemand kommen und hier auf die Glocke schlagen, weil ich anderweitig beschäftigt bin und so weiter. Und nun Sie, und ich frag mich, wie ich wohl dastünde, wenn meine Frau so rumlaufen würde, die Figur hätte sie ja, aber trotzdem, wer will schon eine Dietrich zu Hause, im Kino ist die mir lieber, aber wo Sie jetzt schon mal so dastehen … Machen Sie halt die Zigarette aus, zwei Minuten hätte ich schon noch.«
Es sei ein völlig dilettantischer Anschlag gewesen, erklärte der Pförtner. »Ich weiß nicht, wie der es geschafft hat, den Reichstag in Brand zu setzen, aber hier hat er sich dämlich verhalten. Wenn er geglaubt hat, er könne unser Haus abfackeln, indem er was Brennendes in die Souterrainwohnung wirft, dann war er aber ganz schön naiv. Aber so hat er sich das anscheinend vorgestellt: Kohlenanzünder durchs gekippte Fenster und schon brennt unser schönes rotes Rathaus lichterloh. Samstag, so kurz nach sieben Uhr abends muss das gewesen sein. Ein ganzes Päckchen von den Anzündern, immerhin. Aber der Kollege, der da wohnt, das ist nämlich eine Dienstwohnung im Souterrain, hat den Brandgeruch bemerkt, nachgeschaut und dann einen Eimer Wasser drübergekippt und fertig. Ist ja schon öfter mal passiert, dass jemandeine brennende Zigarette reingeworfen hat. So dachte der Kollege auch. War ihm nicht so wichtig, hat die Sache erst am nächsten Tag gemeldet, nachdem es ihm doch so vorkam, als wäre das mehr als nur eine Kippe gewesen. Immerhin waren ein Stück von der Tapete, eine Leiste am Fußboden und ein Kleiderständer angekokelt. Das will man ja auch ersetzt haben. Gut, hieß es, wird geregelt, aber häng es mal nicht an die große Glocke, ist ja schon genug
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