Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes
befreien?«
»Wenn er vor Gericht kommt, müssen Beweise zu seinen Gunsten erbracht werden. Wer sonst sollte die liefern?«
Réka dachte nach. »Dann könnte ich helfen …«
»Sie müsste nur irgendwie nach Holland durchkommen«, überlegte Klara.
»Schlafwagen?«, fragte Réka.
»Vielleicht funktioniert’s«, meinte Alfred. »Ich muss mit Walter sprechen. Es muss schnell gehen, wir haben nicht viel Spielraum. Die Zeit wird knapp.«
»Ich fahre nach Holland«, sagte Réka entschlossen. »Zu seinen Freunden. Das ist sicher.« Sie nickte vor sich hin.
Klara starrte sie verwundert an. Frauen sind doch wie Kinder, dachte sie, jedenfalls wenn sie verliebt sind. Aber vielleicht trifft das auch auf Männer zu.
»Sicher ist gar nichts in diesen Zeiten«, konnte sie sich nicht verkneifen zu sagen. »Und niemand weiß, ob er am Ziel ankommt.«
»Das ist doch immer so«, sagte Réka trotzig.
Klara zog den Muff aus einem Ärmel ihres Mantels und hielt ihn ihr hin. »Hier, den wirst du brauchen. Auch in Holland ist es kalt.«
Dem alten Mann im Observatorium gelang es tatsächlich, innerhalb von zwei Tagen das Geld bereitzustellen. Die Botschaft von Leo an Klara war unmissverständlich: »Du stehst dafür gerade, Genossin, soll ich ausrichten«, sagte der Alte. »Und man erwartet in kürzester Zeit alle Details über die Hintergründe der Brandstiftung. Genauer Ablauf, Namen, Beweise. Du bekommst zwei Genossen zugeteilt, die dir Rückendeckunggeben. Du triffst sie hier auf der Brücke.« Er deutete auf eine Skizze, die er auseinandergefaltet hatte. »Wer zuerst kommt, guckt aufs Wasser runter, wer dann kommt, sagt: ›Nachts sieht man keine Fische‹ und bekommt zur Antwort ›Die kleinen nicht, aber die großen schon‹. Die beiden tragen Arbeitskleidung mit Schirmmützen, genau wie du. Ist alles hier drin.« Er deutete auf die Reisetasche, in der auch das Geld verstaut war. Nach Aufforderung des alten Mannes hatte Klara es durchgezählt. »Nimm die Pistole mit, die anderen werden auch bewaffnet sein.«
Als Klara durch den Park ging, die Festung mit dem auf die Sterne gerichteten Kanonenrohr hinter sich, merkte sie, dass es wärmer geworden war. Vielleicht kommt ja der Frühling. Und im Sommer sieht alles ganz anders aus. Die Partei berappelt sich. Die Organisation im Untergrund funktioniert. Wer weiß, ob wir nicht einen roten Oktober feiern können, wenn die Nazis abgewirtschaftet haben. Vielleicht haben die Genossen ja recht, dann kommen wir. Wer sonst wäre noch übrig? Leises Vogelzwitschern drang aus den Bäumen. Na bitte, der Frühling kommt!
Am Abend stand sie allein auf der Brücke, im Blaumann mit derber Winterjacke, Schiebermütze auf dem Kopf, Arbeitshandschuhe, grobe Stiefel und die Tasche mit dem Geld neben sich. Und wer nicht kam, waren die beiden Genossen, die sie unterstützen sollten.
Wenn die Gruppe nicht zusammentrifft, bricht man die Aktion ab, ganz klar.
Aber das tat sie nicht. Mit Waschitzki werde ich schon fertig, und der Hausinspektor ist sicherlich ein altes Männchen, der auch nicht mehr kann als Lichtschalter an- und ausknipsen. Geldgierig sind sie beide, sonst würden sie mich nicht treffen wollen. Also ist doch klar, dass wir ein gemeinsames Interesse haben, die Sache einvernehmlich zu regeln. Und wenn nicht, habe ich noch die kleine Beretta, eine Freundin, auf die ich mich verlassen kann. Das Wort »tollkühn« kam ihr kurz in den Sinn, als sie nach längerem vergeblichen Warten die Brücke verließ. Aber tollkühn sind doch alle in diesen Zeiten, die noch an die Freiheit glauben.Und hast du erst einmal eine Grenze überschritten, fällt das Weitergehen gar nicht mehr schwer.
Das Beamtenhaus lag dicht an der Spree, rechts davon einige kahle Bäume, deren Äste von den Straßenlaternen beleuchtet wurden und die sich nach oben im Dunkel der Nacht verloren. Neben dem Gebäude, hinter den Bäumen zurückgesetzt die Umrisse des Maschinenhauses, überragt von einem hohen Schornstein, der sich kaum vom Schwarz des Himmels abhob. Noch so ein Kanonenrohr, aber mit den Sternen hat das nichts zu tun, nur mit Rauch und Ruß, hatte Klara gedacht, als sie als Dame verkleidet die Gegend bei Tag erkundet hatte. Neben dem Maschinenhaus das Palais des Reichstagspräsidenten. Darin residierte der Naziterror-Chef Göring, wenn man da eine Bombe reinschmeißen könnte, wäre viel gewonnen … Und weiter über die Straße hinweg hockte der Riesenklotz des Reichstags, ein düsteres Monstrum, ein im
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