Unter dem Vampirmond 01 - Versuchung
wahrscheinlich mehr, als ihnen gut tat, und ich hatte sie gern, sicher mehr, als mir gut tat, und das war genug. Das war mehr als genug! Warum war ich nur so gierig.
» Alice?«, sagte Milo kleinlaut und riss mich aus meinen Gedanken. In der Wohnung war es dunkel, und ich hatte nicht gesehen, dass er auf dem Sofa saß, wo er offensichtlich auf mich gewartet hatte. Ich war gegen die Wohnungstür gelehnt stehen geblieben. » Alles okay mit dir?«
» Ja, ich bin nur müde.« Ich schluckte und ging zu ihm.
Milo sprach wieder mit mir. Das grenzte an ein Wunder. Ich verdrängte die Gedanken an Peter und Jack und setzte mich neben ihn.
» Hattest du einen schönen Abend?«, fragte Milo, und ich nickte.
» Ja, das hatte ich. Und du?«
» War okay«, antwortete er schulterzuckend.
» Es tut mir leid, was ich heute gesagt habe.« Ich war nicht sicher, ob das die richtigen Worte waren, und hoffte, er würde meinen Satz nicht so verstehen, als täte es mir leid, dass er schwul war oder so. Aber es war zu spät. Ich musste abwarten, wie er darauf reagierte.
» Es braucht dir nicht leid zu tun.« Er fuhr sich mit der Hand durch sein braunes Haar und wandte den Blick von mir ab. » Als ich dich gefragt habe, ob du heute Abend zu Hause sein würdest, war ich beleidigt, aber nur, weil du in letzter Zeit so oft weg bist. Sogar an dem Abend, als ich dachte, du würdest zu Hause bleiben und mit uns essen, bist du gegangen. Du warst einfach so oft weg, und ich habe dich vermisst.«
» Oh, Milo, es tut mir so leid!« Mir stiegen Tränen in die Augen.
Er hatte mich nur vermisst, und ich hatte mich ihm gegenüber so unmöglich verhalten. Ich hatte mich in letzter Zeit so oft mit Jack getroffen und nie daran gedacht, wie es Milo dabei ging. Schlimmer noch: Ich hatte daran gedacht, es war mir einfach egal gewesen. Ich war wirklich die schlechteste Schwester der Welt.
» Lass mich ausreden«, unterbrach mich Milo ruhig. » Aber … du hattest recht. Ich fühle mich von Jack angezogen – und von Jungs generell. Ich wusste nur nicht, wie ich es dir sagen sollte. Ich glaube, ich hatte es noch nicht einmal mir selbst wirklich eingestanden.«
» Du weißt, dass ich dich immer lieben werde, egal, was ist, nicht wahr?« Ich nahm ihn in den Arm. Er sträubte sich ein wenig, ließ mich aber gewähren. » Es tut mir so leid, dass ich nicht für dich da war! Ich verspreche dir, dass ich ab jetzt wieder mehr Zeit mit dir verbringen werde.«
» Das brauchst du nicht.« Er löste sich aus meiner Umarmung, blieb jedoch dicht neben mir.
» Ich weiß. Aber ich will es! Ich habe dich auch vermisst. Und es tut mir alles so leid.«
» Hör auf, dich zu entschuldigen«, sagte Milo sanft. » So viel hast du gar nicht falsch gemacht.«
» Ich fühle mich schrecklich.«
» Ja, das sehe ich«, sagte er und lächelte ein wenig.
» Morgen machen wir etwas zusammen. Versprochen.«
» Okay«, gähnte Milo. » Jetzt muss ich aber wirklich ins Bett. Ich sollte schon längst schlafen.« Er stand auf und ging zu seinem Zimmer.«
» Okay.« Ich nickte, obwohl ich gerne noch bei ihm geblieben wäre. » Hey, Milo? Ich hab dich lieb.«
» Ich weiß.« Dann verschwand er in dem dunklen Raum, und auch ich ging in mein Zimmer und zog meinen Schlafanzug an.
Ich kuschelte mich in meine Decke und zum ersten Mal seit Langem weinte ich mich in den Schlaf.
Kapitel 8
In der Schule stieß mich Jane an und empörte sich darüber, wie scheiße ich aussah. Was ja kein Wunder war, denn ich hatte schlecht geschlafen und komische Dinge geträumt, an die ich mich jedoch nicht mehr genau erinnern konnte. Es waren hauptsächlich verschwommene Bilder, die ich nicht entziffern konnte, mit Ausnahme von einem Bild, das ich klar und deutlich vor mir sah: Peters Augen, die mich durchdringend anblickten.
Natürlich konnte ich Jane davon nichts erzählen. Es musste ihr unglaublich schwerfallen, Jack nicht zu erwähnen, also würde ich es auch nicht tun.
Milo schien zu meiner großen Erleichterung wieder ganz der Alte zu sein. Als wir nach Hause kamen, sprach er angeregt von einem neuen Rezept, das er unbedingt ausprobieren wolle.
Letzte Nacht hatte ich völlig vergessen, etwas zu essen, und beim Mittagessen war ich noch zu müde gewesen, um etwas Anständiges zu mir zu nehmen. Doch jetzt, in der Ruhe unserer Wohnung und mit Milo, der über leckere Gerichte sprach, meldete sich mein Appetit dafür umso heftiger zurück.
Wir gingen zum Supermarkt und kauften die nötigen Zutaten.
Weitere Kostenlose Bücher