Unter dem Vampirmond 01 - Versuchung
Ende des Gangs, wo auch ihr Schlafzimmer war.
» Ich hasse es, wenn ihr so alltäglich seid«, sagte ich mit gerümpfter Nase. » Vampire sollten groß und mächtig und sexy und gefährlich sein.«
» Und jeden Tag ein neues Outfit kaufen?« Jack ging in die Hocke, um Matilda die heiß ersehnte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. » Das klingt nicht gerade pragmatisch.«
Ich lehnte mich an den Küchentresen. » Das ist es ja eben! Vampire haben nicht pragmatisch zu sein! Ihr seid übernatürliche Wesen mit magischen Kräften! Ihr wascht keine Wäsche oder spielt Videospiele! Ihr springt von Klippen und habt Sex mit schönen Frauen!«
» Verstehe.« Jack musste lachen. » Ich hatte dieselbe Vorstellung davon, wie ein Vampir sein sollte, aber das basiert alles auf verherrlichenden Hollywood-Idealen. Nichts kann ständig sexy und cool sein, schon gar nicht etwas Unsterbliches. Hast du eine Ahnung, wie anstrengend und teuer es wäre, jeden Tag mit Designerklamotten und wertvollem Schmuck herumzulaufen – und das sechshundert Jahre lang? Und wozu auch? Wen sollte ich damit beeindrucken? Ich bin ein verfluchter Vampir! Ich werde keinen schwarzen Eyeliner auftragen und mir die Haare wachsen lassen, nur damit mich ein paar dumme Menschen für sexy halten. Das tun sie ohnehin schon.« Er zwinkerte mir anzüglich zu, und ich lachte.
» Wo sind denn nun diese Tausende von Filmen?« Ich ging in Richtung Wohnzimmer, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, dort jemals Videos gesehen zu haben. Er stoppte mich an der Treppe und nickte nach oben.
» Die meisten sind in meinem Zimmer. Das überrascht dich vielleicht, aber ich bin der Filmfan in der Familie. Na ja, Mae ist es auch ein bisschen, aber sie mag nur Filme mit Ginger Rogers und Cary Grant.« Jack verdrehte die Augen. » Manchmal benimmt sie sich wirklich wie eine Achtzigjährige.«
» Das habe ich gehört!« Mae kam mit einem überquellenden Wäschekorb auf uns zu und drückte ihn Jack in die Hand. » Das hier gehört übrigens dir. Da war ein Paar hellbrauner Dickies dabei, die voller Blut waren, das hab ich nicht rausbekommen.«
» Das muss von dem Abend sein, als ich in der Disko war.« Er stöberte beiläufig in dem Korb, während ich ihn mit großen Augen ansah.
Zu wissen, dass er Blut trank, war eine Sache, zu hören, dass seine Kleidung voller Blut war, weil er einen Menschen angezapft hatte, eine andere.
» Manchmal besucht Jack eine Vampirdisko an der Hennepin Avenue«, erklärte Mae, die meinen entgeisterten Blick offenbar bemerkt hatte. » Viele Mädchen dort sind Spender, und denen, die keine sind, macht es nichts aus. Nur wenn du aus Versehen eine Arterie erwischst, kann es ein bisschen unschön werden.«
» Aber sterben sie nicht, wenn ihr eine Arterie verletzt?« Wahrscheinlich hatte sich an meinem erschrockenen Gesichtsausdruck nichts geändert, denn Jack wurde langsam ärgerlich. Er klemmte sich den Korb unter den Arm und schüttelte den Kopf.
» Genauso wie Moskitos und Vampirfledermäuse Anästhetika in ihrem Speichel haben, beinhaltet unserer zusätzlich dazu noch andere chemische Stoffe, die die Wunde schneller heilen lassen. Schon nach ein oder zwei Stunden ist von dem Biss meistens nichts mehr zu sehen.« Dann hatte er von dem Thema genug, drehte sich um und joggte die Treppe hinauf. » Komm, Alice, wenn du mitentscheiden willst, welchen Film wir anschauen.«
» Ich würde mitgehen. Er bringt es sonst fertig, The Lost Boys mit dir zu schauen«, warnte mich Mae.
» Hey, das ist ein guter Film!«, rief Jack, womit ich ihm recht geben musste.
Trotzdem wäre mir etwas weniger Blutrünstiges lieber gewesen. Zumal es das ausgesprochene Ziel dieses Abends war, ausnahmsweise mal nicht an diese Dinge zu denken.
Ich eilte ihm nach und unterdrückte das Verlangen, in Peters Zimmer zu gehen. Sogar im Gang konnte ich noch seinen süßlich-herben Duft riechen. Doch ich verdrängte die Gedanken an Peter sofort wieder, um zu vermeiden, dass mein Herz wieder verrückt spielte.
» Ich räume das hier nur schnell auf«, informierte mich Jack, als ich sein Zimmer betrat. » Ich möchte schließlich nicht, dass mein Vampir-Image leidet, weil ich zerknitterte Wäsche trage.«
Die Tür zu seinem riesigen begehbaren Kleiderschrank stand offen, und er hatte bereits damit begonnen, seine T-Shirts aufzuhängen. Als ich näher trat und einen Blick hineinwarf, stellte ich wenig überrascht fest, dass fast seine ganze Garderobe aus T-Shirts, Dickies und
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