Unter dem Vampirmond 04 - Schicksal
öffnete ihre Schlafzimmertür genau in dem Moment, als ich anklopfen wollte, und erschreckte mich damit so sehr, dass es mir den Atem verschlug. Müde lächelnd wickelte sie ihren Satinmorgenmantel enger und kam heraus. Ihr schwarzes Haar hatte sie zu einem langen Zopf geflochten, der wie ein Tau auf ihrem Rücken hin und her baumelte.
» Wie kommt es, dass du schon wach bist?«, fragte ich.
» Kann nicht schlafen.« Sie machte eine vage Handbewegung und schlurfte zum Sofa hinüber.
Das war nicht das erste Mal, dass sie von Schlafproblemen sprach. Als ich Ezra einmal davon erzählte, erklärte er mir, dass ihre Schlaflosigkeit mit ihrem geringeren Blutkonsum zusammenhängen könnte. Das viele Blut, das sie früher täglich getrunken hatte, war für sie zu einem Schlafmittel geworden, das sie nun vermisste.
» Hallo Olivia.« Um Höflichkeit bemüht, zwang sich Milo zu einem Lächeln.
» Womit habe ich die Ehre verdient?«, fragte Olivia. Sie hatte sich auf dem Sofa gegenüber von Milo ausgestreckt, wobei ihr Morgenmantel ein wenig hochgerutscht war und ihre schlanken Beine preisgab.
» Was weißt du über Kindervampire?«, fragte ich sie ohne Umschweife. Ich stand mit dem Rücken zum Fenster und versuchte, die Sonne zu ignorieren, die mir von hinten auf die Haut prallte.
» Ich bemühe mich, nichts über sie zu wissen«, sagte sie zurückhaltend.
» Gibt es eine Möglichkeit, sie … zu zähmen?«, fragte ich.
» Warum interessierst du dich für Kindervampire?« Olivia schielte zu Bobby hinüber. » Er ist jung, aber kein Kind mehr.«
Ich tauschte einen Blick mit Milo. Olivia wusste nichts von Daisy. Wir waren nicht sicher, wie andere Vampire auf einen Kindervampir reagieren würden, und dachten deshalb, sie müsse nicht unbedingt davon wissen. Aber vielleicht wusste sie es trotzdem.
» Mae hat ein Kind zum Vampir gemacht«, sagte ich, vorsichtig auf Olivias Reaktion achtend. » Das ist der Grund, warum sie fortgegangen ist. Sie versteckt sich mit dem Kindervampir.«
» Ich bin sicher, das klappt ganz wunderbar.« Olivia lachte trocken, schien jedoch nicht überrascht zu sein.
» Weißt du nun etwas über Kindervampire oder nicht?«, schnauzte Milo. Obwohl er mit Maes Entscheidung nicht einverstanden gewesen war, verteidigte er sie dennoch.
» Ehrlich gesagt habe ich mich immer bemüht, mich aus dieser Angelegenheit herauszuhalten«, seufzte Olivia. » Vampire begeben sich genauso wie Menschen auf dieses spezielle … Terrain. Ich weiß zum Beispiel, dass Vampire eine Zeitlang Kinderprostitution betrieben haben.«
» Redest du etwa von Pädophilie?«, fragte Bobby und verzog angewidert das Gesicht.
» Wenn du es so nennen willst.« Sie strich ihren Morgenmantel glatt und sank tiefer in die Couch. » Es ist noch gar nicht so lange her, da war es üblich, dass Männer Mädchen heirateten, die nicht älter waren als zwölf.«
» Das kannst du unmöglich gutheißen!« Milo warf Olivia einen vorwurfsvollen Blick zu und legte seinen Arm um Bobby, als hätte er Angst, sie könne ihn auf den Strich schicken.
» Nein, natürlich nicht«, sagte Olivia, ungerührt von Milos Zorn. » Ich heiße wenig von dem, was damals passiert ist, für gut.«
» Dann haben also Vampire Kinder zu Vampiren gemacht?«, fragte ich, um zum Thema zurückzukommen. » Dann wussten sie doch bestimmt, wie sie sie kontrollieren konnten.«
» Fehlanzeige.« Sie schüttelte den Kopf. » Die meisten von ihnen haben nie gelernt, sich zu beherrschen. Kindervampire verschlingen alles, was ihnen vor die Nase kommt. Und selbst diejenigen, die sich zu beherrschen lernen – was soll daraus Gutes entstehen? Für immer in einem kindlichen Körper gefangen zu sein, ist eine Qual. Wenn es Peter Pan wirklich gegeben hätte, wäre er verrückt geworden und hätte ganz Nimmerland ausgerottet.«
» Vielleicht waren die Vampire, denen du begegnet bist, nur so, weil sie dazu gezwungen wurden«, sagte ich. » Wenn sie anders erzogen worden wären, hätten sie sich möglicherweise anders verhalten.«
» Das weiß ich nicht«, sagte sie schulterzuckend.
» Weißt du eigentlich überhaupt etwas?«, fragte Milo spitz.
» Milo! Werd nicht frech!«, mahnte ich.
» Das bin ich nicht!«, sagte er trotzig, lief aber rot an. So wenig er Olivia auch traute, er wollte trotzdem nicht unhöflich sein. » Ich meinte nur … Olivia scheint nie auf irgendetwas eine Antwort zu haben.«
» Je mehr du weißt, desto mehr vergisst du.« Wieder zuckte Olivia mit den
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