Unter dem Weltenbaum - 01
werdet anderswo dringender benötigt. Ihr seht mich betrübt, weil wir Priam und dem obersten Heerführer gegenwärtig nicht die Kenntnisse zur Verfügung stellen können, die sie für den Kampf gegen die Kreaturen benötigen. Doch gibt es einen Ort, an dem wir dieses Wissen zu erlangen vermögen.«
Er drehte sich zu Moryson um, der bedächtig nickte. »Die Burg der Schweigenden Frau.«
Die anderen am Tisch warfen sich unsichere Blicke zu. Während der vergangenen vierzig Generationen hatten nur wenige Menschen, und darunter niemand in dieser Runde, die Reise zur Burg der Schweigenden Frau gewagt. Das Bauwerk erhob sich stark und düster im einzigen verbliebenen Gehölz von Achar, dem Wald der Schweigenden Frau. So manche Achariten raunten sich zu, daß die Bruderschaft des Seneschalls zwar predige, alle Bäume seien vom Übel, den Wald der Schweigenden Frau aber nicht antasteten, um darin die Geheimnisse der Burg zu bewahren. Nur wenige Menschen wagten sich näher als ein paar Meilen an dieses Gehölz heran. Und eigentlich wollte niemand so genau wissen, was es mit der Burg der Schweigenden Frau auf sich hatte oder warum dort einige Brüder Wache hielten.
»Richtig«, stimmte Jorge zu. »Auch ich meine, daß der Seneschall den obersten Kriegsherrn mit allen Mitteln unterstützen sollte, allerdings auf Umwegen. Begebt Euch mit dem Gros Eurer Axtschwinger zu dieser Burg. Die dortigen Brüder haben Zugang zu uralten Berichten, Quellen und Chroniken, die noch aus der Zeit der Axtkriege stammen. Bringt dort alles Wissenswerte über die Unaussprechlichen in Erfahrung. Von dort reist Ihr dann über Arkness und Skarabost nach Smyrdon weiter, um die Lage vor Ort zu überprüfen. Und danach« – der Alte sah Priam und Bornheld an – »laßt Ihr eine kleine Besatzung Axtschwinger in Smyrdon zurück und stoßt mit dem Rest nach Gorken vor. Der oberste Kriegsherr wird sowohl Eure Kenntnisse als auch Eure Verstärkung dringend benötigen, wenn die Gefahr wirklich so groß sein sollte, wie es zu befürchten steht.«
Bornhelds Miene hatte sich wieder verfinstert, und er wollte gerade etwas sagen, als der König ihm zuvorkam. »Ein vernünftiger Plan, Jayme. Wir müssen mehr über den Feind in Erfahrung bringen.«
Jorge nickte erneut. Ja, wirklich ein vernünftiger Plan, und das in mehrfacher Hinsicht. Auf diese Weise wurden Axis und Bornheld lange genug voneinander ferngehalten, ehe im Norden ernsthafte Kämpfe ausbrächen. Auch mit dem Umweg konnte der Axtherr immer noch zu Winterbeginn in Gorken eintreffen. Und wenn alles so kam wie erwartet, mußte man erst in der kalten Jahreszeit mit dem Großangriff des Feindes rechnen. Hoffentlich stand Artor ihnen bei, damit Axis dort mit wertvollen Kenntnissen über die Art und Natur der Wesen anlangte. Wenn Bornheld und der Axtherr gemeinsam einem Feind gegenüberstünden, würden sie wohl fürs erste ihre Privatfehde vergessen.
Aber der oberste Kriegsherr schien mit dieser Entwicklung nicht einverstanden zu sein: »Herr, meine Truppen sind bestens in der Lage …«
Jayme schritt ein. »Selbstredend unterstellen sich Axis und die Axtschwinger Eurem Befehl, sobald sie in Gorken eintreffen, oberster Kriegsherr.«
Tiefe Befriedigung breitete sich auf der Miene des Herzogs aus. »Ja«, sagte er, »das wäre nur angemessen. Ich bin mir sicher, Axtherr, Eure Männer irgendwo sinnvoll einsetzen zu können. Und Euch selbst natürlich auch.«
Jetzt war es an Axis, sich mit ungläubigem Gesichtsausdruck an seinen Mentor zu wenden. Das Tuch, mit dem er sich eben das Blut von der Lippe gewischt hatte, wurde nun in einer geballten Faust zerdrückt. »Aber, Bruderführer …«
Jayme legte ihm eine Hand auf den Arm. »Laßt es bitte gut sein, mein Sohn. Wir haben ohnehin noch eine Menge unter uns zu bereden.« Der feste Griff seiner Hand strafte seine gütige Miene Lügen.
Axis atmete tief durch, lehnte sich zurück und vermied es mit zusammengepreßten Lippen, in Bornhelds triumphierende Miene zu schauen. Lieber wollte er bis in alle Ewigkeit in den Feuerlöchern des Nachlebens schmoren, bevor er seine Axtschwinger freiwillig dem Befehl des Herzogs unterstellte.
»Fein«, erklärte Priam erleichtert darüber, daß dieser Kriegsrat zu Ergebnissen gefunden hatte, »dann haben wir wenigstens einen Anfang gemacht. Ich darf mich doch wohl darauf verlassen, Roland und Jorge, daß Ihr den obersten Kriegsherrn mit Soldaten und Vorräten unterstützt. Und ihm vielleicht auch sonst mit Rat und Tat
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