Unter dem Weltenbaum - 01
mich, um in seinem Namen eine Einladung an die Damen Merlion, Embeth und Faraday auszusprechen, heute abend vor seinem Zelt mit ihm das Mahl zu teilen.«
Timozel wußte charmant und locker zu parlieren, doch unter der Oberfläche war er über diese Einladung wenig erfreut. Seine Mutter ahnte zwar nichts davon, aber der Jüngling hatte schon seit einiger Zeit herausgefunden, welche Bande zwischen ihr und Axis bestanden. Dieses Wissen trübte seine früher grenzenlose Bewunderung für den Axtherrn. Aber der Jüngling verbarg seine Bedenken sehr wohl. Weder Axis noch Embeth ahnten bislang, welcher Widerstreit unter Timozels fröhlicher und höflicher Art tobte.
Die Herrin von Tare lächelte stolz darüber, wie wohl ihr Sohn sich zu benehmen wußte. In ihrem Innern bezweifelte sie, daß Axis die Einladung so charmant ausgesprochen hatte. Sie wandte sich an Merlion, der es als Ältester in der Runde oblag, für alle zuzusagen oder abzulehnen.
Faraday sah die Gräfin flehentlich an. »Bitte, Mutter! Die Abende waren bisher so langweilig. Vielleicht schließt sich uns Timozel ja an.«
»Das wäre mir eine Ehre, Herrin«, lächelte der Jüngling, nickte dem Mädchen kurz zu und verbeugte sich vor ihrer Mutter.
Timozels höfische Manieren beeindruckten Merlion sehr. Wenn dieser junge Mann an dem Mahl teilnahm, würden sie vielleicht ja doch in den Genuß einer charmanten Konversation kommen. Selbst sie hatte manchmal des Abends männliche Gesellschaft vermißt. Bruder Gilbert, wenn er sich denn überhaupt einmal bei ihnen zeigte, stellte nur einen schwachen Ersatz dar.
»Wir nehmen die großzügige Einladung des Axtherrn an. Seid bitte so freundlich, ihm mitzuteilen, daß wir gern das Abendmahl mit ihm einnehmen.«
Nachdem alle gegessen hatten, starrten sie schweigend in das zischende und prasselnde Lagerfeuer, das die kühle Abendluft erwärmte. Gilbert, Timozel und Belial hatten sich Axis und den drei Damen angeschlossen, so daß nach bester höfischer Tradition die Zahl der Männer die der Frauen überstieg. Den Herrinnen hatte während des Lageraufbaus genügend Zeit zur Verfügung gestanden, sich mit dem Wasser aus einem nahen Bach zu waschen und das Haar auszubürsten. Während die beiden älteren mit Hochfrisur zur Tafel erschienen, hatte Faraday sich das Haar wieder zu einem Zopf flechten lassen. Einige Löckchen waren freigeblieben und strichen ihr sanft über die Wangen.
Die Gesellschaft hatte sich an einem einfachen, aber reichlichen Mahl gestärkt. Axis befand sich in bester Stimmung und fühlte sich ruhiger als je zuvor, seit Jaymes Nachricht ihn in Koroleas erreicht hatte. Zum ersten Mal hatte der Axtherr die gesamte Truppe der Axtschwinger in Marsch setzen müssen, und er hatte sich lange um tausend logistische Dinge und vor allem darum gesorgt, ob die Truppe das harte Tempo durchhielte. Aber bislang waren sie bestens vorangekommen, sogar rascher, als er gehofft hatte. Jahre der Planung und des Drills zahlten sich aus. Axis war mit Recht stolz auf seine Soldaten.
Die große Senke mit einem Durchmesser von mehreren hundert Schritten schützte sie ausreichend vor dem kalten Wind. Der Krieger streckte die Beine ans Feuer, damit seine Füße sich durch die Stiefel erwärmen konnten, lehnte sich an einen halb mannshohen Fels und betrachtete Faraday.
»Herrin«, sprach er sie an, »mich beschäftigt schon seit einer Weile, daß mir Euer Antlitz so bekannt vorkommt, obwohl wir uns meines Wissens vor dem Marsch noch nie vorgestellt wurden.« Er fragte sich, ob sie auf ihr ungebührliches Starren während des Namenstagsbanketts zu sprechen käme.
Faraday lächelte unsicher. Sie hatte die Knie bis ans Kinn angezogen und mit den Armen umschlungen. »Tatsächlich … nun …« Sie stockte und schien nicht zu wissen, wie sie ihn anreden sollte. ›Axtherr‹ kam ihr in dieser gemütlichen Runde am Feuer doch zu förmlich vor, ›Axis‹ hingegen zu plump vertraulich. Und ›Herr‹ konnte sie ihn erst recht nicht nennen, denn seine illegitime Geburt verwehrte ihm in jeder Hinsicht die Ehrenanrede der Edelleute.
»Ohne Zweifel habt Ihr mich auf Priams Fest im Mondsaal bemerkt. Ich fürchte, ich habe Euch dort etwas zu offen angestarrt. Aber die Axtschwinger genießen in meiner Heimat Skarabost – und überhaupt im ganzen Reich – einen so legendären Ruf, daß ich mich schon lange danach gesehnt hatte, einen von ihnen mit eigenen Augen zu sehen. Wer hätte mein Glück auch ahnen können, daß mir als erster
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