Unter dem Zwillingsstern
sie ihres W i ssens auf der W elt noch hatte, sie in einer schweren Stunde zu sehen wünsch t e ?
»Ich habe K r ebs«, wisperte M a riannes ferne Stimme und klang wie zerdrückte S ch m etterlingsflügel. »Carla, ich liege im Sterben.«
»Ich kom m e «, sagte Carla und legte auf, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Später erkannte sie, wie dumm das war, denn sie hatte noch nicht ein m al gefragt, ob Marianne in einem Krankenhaus lag, doch die u m sichtige Evi Kern e r innerte sich, zuerst m it einer Schwester der Klinik in der Lindwur m straße gesprochen zu haben. Robert brachte sie m it Max Kern zum Bahnhof. W ährend sie auf den Zug warteten, gingen sie zu zweit auf und ab, das erste Mal seit dem Beginn des Lubeldorfer Som m ers, daß sie alleine und ruhig waren.
»Ich wünschte, du würdest nicht gehen.«
» W eil du der Antwolfen die Petra d och nic h t z u trau st ? Kei n e Sorge, da gi b t es im m er noch die kleine Ottilie, d i e h ätte d i e Rolle schon eher verdient.«
Doch er weigerte s i ch, auf ihr Ausweichen einz u gehen.
»Nein, weil es scheußlich werden w i rd«, entgegnete er und dachte an seine sterbende Mutter. » W arum t ust du dir das an? Keine Fa m i lie, erinnerst du dich ? «
» W eil«, sie schluckte, »es nicht s c hlim m er werden wird, als ich es m i r vorstelle. Das weiß ich, Rober t . Ich kann das kein zweites Mal… ich könnte das W arten hier nicht aushalten.«
»Ud tsib rim thcin rhem esöb ? « fra g te er sie, denn plötzlich schien es ihm sehr wichtig, daß sie auf d e r langen Fahrt nach München nicht noch nachgetragenen Groll wegen ihrer albernen Streiterei e m pfinden sollte.
»Nien.«
Ihre Finger verflochten sich ine i nander, und er registrierte, daß Carla es wieder ein m al fertigbrac h te, tr o t z der Som m erhitze kalte Hände zu haben. Seine eigenen waren, unabhängig von der Jahreszeit, im m er war m . Als sie in den Z u g einstieg und sich auf der oberen Stufe noch ein m al u m drehte, küßte er sie i m pulsiv. Auch ihre Lippen waren kalt, und sie zitterte etwas, während sie ihn noch ein m al heftig u m a r m te.
» W eißt du, Robert«, sagte Max auf der Rückfahrt zur Schule, »ich muß dir etwas gestehen. Ich m ag d a s Mädchen, aber vor allem war ich ungeheuer erleichtert über ihre G egenwart hier, weil ich m i r Sorgen m achte um dich und… nun, um dich und die Züricher.«
»Die Züric h er?« fragte Robert etw a s begri ff stutzig zurück, weil er in Gedanken noch bei Carla war und der unhei m lichen Fähigkeit von F a m ilien m itgliedern, gleich welcher Art, einen zu verwunden, indem sie einen brauchten.
»Es ist m öglicherweise ein Schock f ü r dich, aber ich glaube, Dieter und Jean-Pierre sind von der anderen Sorte.«
Max Kern war überrascht und ratlos zugleich, als der eben noch niedergeschlagene Robert den Kopf zurückwarf und lachte.
»Deswegen m ag ich Sie so gerne, Max«, erklärte Robert, als er sich wieder beruhigt hatte. »Sie sind in m anchen D i ngen so wunderbar na… schlicht.«
Marianne lag auf der P r ivatsta t ion, u m geben von Blu m en wie die tote Ophelia, und der Duft der vielen Rosen und Orchideen verursachte C a rla beim Eintreten kur z e Z e it Übelk e it. W as um alles in d e r Welt dachten sich die Leute dabei, das Ganze jetzt schon wie ein Totenbett wirken zu lassen?
Außer den Blu m en befand sich nur noch eine Krankensch w ester im Zimmer, und diese Einsa m keit gab zu all den Blu m en einen m erkwürdigen Kontrast ab. Vage erinn e rte s ich Carla daran, daß Maria n nes Großmutter irgendwann in den letzten zwei Jahren gestorben war, doch Marianne mußte Freundinnen haben, und vor allem hatte sie einen Ehe m ann. Das leise Rücken des Stuhls, als die Schwester sich erhob, um Carla zu begrüßen, ließ Marianne den Kopf drehen. Sie sah furchtbar aus; die Augen w a ren geschwollen und traten hervor, und ihr Haar fiel strähnig und schütter auf ihre Schultern.
»Rufen Sie m i ch, ehe Sie gehen«, sagte die Schwester zu C arla und schloß leise die Tür hinter sich.
»Carla ? « flüsterte Marianne heiser.
»Ich bin hier.«
Sie ließ sich auf dem S t uhl niede r , den die Schwester frei ge m acht hatte, und nah m , ihren Ekel überwindend, Mariannes aufgetriebene, poröse Hand, ein Zerrbild ihrer früheren Erscheinung.
Marianne w ar ihrem Blick gefol g t. Sie bog ihren linken Ringfinger leicht zurück, der r o t und entzündet war.
»Sie m ußten m i r den Ring aufschneiden«, sagte
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