Unter den Sternen des Südens: Australien-Saga (German Edition)
Grace? Auf dem Weg nach Esperance? Wie war das möglich?
»Die zunehmenden Anfeindungen gegen sie sind untragbar. Gerade du wirst verstehen, was sie durchmacht. Ich vertraue sie dir an. Eine Vermählung würde deinen Vater und mich sehr glücklich stimmen und unsere Unterhaltszahlungen an dich sicherstellen. Deine dich liebende Mutter, Elizabeth.«
Und was war mit Kathleen? Wie würde sie diese Neuigkeit aufnehmen? Michael fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er mochte Grace, keine Frage, sie waren einander versprochen gewesen, bevor er England verließ. Grace stammte aus einer wohlhabenden Familie, so wie er. Sie waren in Suffolk auf benachbarten Farmen aufgewachsen und kannten sich schon seit ihrer Jugend von der gemeinsamen Sonntagsjagd. Michael hatte es durch seinen überstürzten Aufbruch aus England versäumt, sich von Grace zu verabschieden, und er war davon ausgegangen, sie niemals wiederzusehen. Sein Leben auf Kyleena unterschied sich erheblich von dem, das Grace gewohnt war. Zudem beendete ihre Ankunft seinen Traum von einem gemeinsamen Leben mit Kathleen. Dabei begehrte er sie so sehr! Dennoch, die simple Wahrheit lautete, er war auf das Geld angewiesen, das er jeden Monat von seinen Eltern erhielt. Seufzend ließ er den Brief sinken, wohl wissend, dass er im Grunde keine Wahl hatte.
Kathleen starrte Michael entsetzt an, unfähig, seine Worte zu verinnerlichen. »Viel zu tun auf Kyleena. Wir können uns leider nicht mehr sehen.« Nach einer langen Pause nickte sie schließlich und sagte, sie verstehe. Dann wandte sie sich um und ging in die Pension, ohne einen Blick zurückzuwerfen, ihre zitternden Hände in den Rocktaschen versteckt.
Als sie sicher war, dass Michael fort war, lief sie aus dem Haus zu dem Hügel, auf dem man die Bucht von Esperance überblicken konnte, und ließ ihren Tränen freien Lauf. Derart abgespeist zu werden, nachdem er ihr ein Jahr lang den Hof gemacht hatte, war … Nun, es ließ sich nicht mit Worten beschreiben.
Durch ihren Tränenschleier nahm sie eine Gestalt war, die sich ihr näherte. Ihr Herz hob sich in freudiger Erwartung, bis sie erkannte, dass es Bernard Spenser war, ein Bergarbeiter, der Glück gehabt hatte auf den Goldfeldern von Kalgoorlie und nun seit drei Wochen mit seinem Fund in der Pension herumprahlte. Kathleen wusste, dass Bernard an diesem Tag die Ankunft seiner Schwester erwartete, und sie war froh, wenn sie ihn wieder los war. Sie hatte ihn öfter dabei ertappt, dass er sie heimlich beobachtete.
Sie kehrte ihm den Rücken zu in der Hoffnung, dass er sie in Ruhe ließe. Kurz darauf spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Empört wandte sie sich um, und plötzlich pressten sich fremde Lippen auf ihren Mund und fremde Hände auf ihre Brüste. Sie wehrte sich erbittert, aber ihre Arme wurden nach unten gedrückt. Bernard gab ihr einen Schubs, sodass sie rücklings auf den Boden fiel, warf sich auf sie und begann, ihre Röcke zu raffen.
Danach lief Kathleen benommen und mit zerrissenem Kleid zurück zur Pension. Das Schiffshorn hatte Bernard schließlich abgelenkt, und er hatte sich auf den Weg zum Hafen gemacht, während Kathleen am Boden liegen blieb, im Dreck.
Als sie sich vorsichtig ihre aufgeschürften Hände wusch und das Gesicht, schwor sie sich, keiner Menschenseele von der Schande zu erzählen, die sie beinahe erlitten hatte.
Kapitel 16
2005
B eim Zähneputzen starrte Amanda auf ihre Hand im Spiegel. Die Adern traten hervor, und die Haut war trocken und rissig. Hannah hatte ihr empfohlen, zur Maniküre zu gehen, aber Amanda wusste, dass das nicht viel Sinn hätte. Vier Jahre harte Arbeit, die nicht weniger wurde, hinterließen eben ihre Spuren.
Die Hintertür fiel klappernd zu, und gleich darauf hörte Amanda Schritte im langen Flur. Sie runzelte die Stirn und sah auf die Uhr.
»Amanda? Mandy?«
»Hier!«, rief sie mit der Zahnbürste im Mund und warf einen letzten Blick auf ihre Hände, bevor sie ins Waschbecken spuckte und den Mund ausspülte. Sie drehte sich um, als Hannah den Kopf ins Bad steckte und sie angrinste.
»Du kommst noch zu spät zu deiner ersten Auktion, wenn du dich nicht beeilst.«
Amanda trocknete sich das Gesicht ab. »Ich bin fast fertig.« Sie trat einen Schritt zurück und breitete die Arme aus. »Und, wie sehe ich aus?«
Hannah musterte ihre Freundin und nickte dann. »Wie eine echte Schafzüchterin.«
Amanda nestelte an dem ungewohnten grünen Hemd, das sie in ihre neue Moleskin-Hose
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