Unter den Sternen des Südens: Australien-Saga (German Edition)
weg bin?«
»Ja.«
»Wird nicht lange dauern«, versprach er und wandte sich zum Gehen.
Amanda blieb noch kurz liegen und spürte Erleichterung. Sie wollte Adrian nicht selbst bitten, ihr Gesellschaft zu leisten, um nicht zugeben zu müssen, wie ängstlich und hilflos sie sich fühlte. Als er es von sich aus anbot, hätte sie beinahe geweint vor Dankbarkeit.
Sie stand auf und sah auf die Uhr – fast fünf. Zeit für einen Drink. Sie holte eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank, entkorkte sie mit geübtem Griff und füllte ein Glas.
Zurück im Wohnzimmer klappte sie das Fotoalbum auf, das irgendwie immer in ihrer Nähe zu sein schien, und blätterte zu dem Bild, auf dem ihr Vater sie zum ersten Mal im Arm hielt und liebevoll betrachtete.
Ohne Vorwarnung musste sie plötzlich weinen. Als die Tränen nachließen, nahm sie das Foto aus dem Album und drückte es an ihre Brust. »Mum, Dad« , flüsterte sie. »Ihr fehlt mir so sehr.«
Amanda nippte an ihrem Wein und drehte das Foto in ihrer Hand um, während sie versuchte, mit ihren Eltern geistig in Verbindung zu treten, aber da war nichts. Es war bloß ein Stück glänzendes Papier in ihrer Hand.
Durch ihren Tränenschleier erkannte sie die verblasste Handschrift ihrer Mutter. Sie wischte die Tränen ab, um zu lesen, was auf der Rückseite stand, bevor sie das Foto erneut umdrehte und betrachtete. Sie wendete es wieder und wieder. Dann warf sie es auf den Boden und brach abermals in lautes, heftiges Schluchzen aus.
Das Datum auf der Rückseite war nicht ihr Geburtstag.
»Hör zu, Mandy, ich denke, du solltest zum Arzt gehen. « Adrian stand vor der Küchentheke.
In der ersten Nacht hatte er nichts gehört, aber in der zweiten hörte er das Dach knarren und knacken, das alte Ölfass vor der Scheune klappern und den Wind heulen, der durch die Ritzen in der Tür pfiff. Diese Lärmquellen konnte er abstellen. Aber mehr hatte er nicht gehört.
»Weißt du, Mandy, nach allem, was du durchgemacht hast in den letzten Jahren, war das vielleicht zu viel für dein Gemüt. Mist, das kam jetzt völlig falsch an!« Adrian machte sofort einen Rückzieher, als Amanda ihn wütend anfunkelte. »Ich meine doch nur, dass du Hilfe brauchst«, fügte er lahm hinzu.
»Vielen Dank für deinen Rat«, entgegnete Amanda gereizt, dann seufzte sie. »Ich habe selbst schon kurz daran gedacht, professionelle Hilfe zu suchen. Aber ich wollte es mir nicht eingestehen.« Sie schwieg einen Moment und spielte mit ihrer Tasse, dann sagte sie: »Ich werde versuchen, noch heute einen Termin beim Arzt zu bekommen.«
»Gut, Amanda …« Ihr Hausarzt nahm seine Brille ab und zwickte sich in den Nasenrücken. »Wo drückt der Schuh? Du warst nicht mehr bei mir, seit dein Vater gestorben ist. Offenbar lebst du sehr gesund.«
Amanda rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum. »Ich bin nicht sicher, Kevin. In letzter Zeit passieren lauter merkwürdige Dinge. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Wahrscheinlich bin ich nur ein wenig überspannt. Ich weiß, es klingt albern, aber meine Freunde machen sich Sorgen um mich, und ich merke ja selbst, dass irgendwas nicht in Ordnung ist. Ich bilde mir ein, Dinge zu tun, die ich dann doch nicht getan habe, oder umgekehrt. Ich kann nicht mehr schlafen und wenn doch, habe ich Albträume. Inzwischen lasse ich nachts das Licht im Zimmer an und meinen Hund herein. Beim kleinsten Problem bricht mir der kalte Schweiß aus, und ich fange an, am ganzen Körper zu zittern. Zum Beispiel braucht bloß ein Schaf auszubüxen, schon gerate ich in helle Panik. Seit zwei Monaten ist es richtig schlimm.« Amanda spürte ihren Herzschlag und fragte sich, ob Kevin ihn hören konnte – bestimmt, so laut, wie ihr Herz pochte. Dann dachte sie daran, was sie eben gesagt hatte, und fühlte sich plötzlich befangen. »Ähm, hör zu, Kevin, ich weiß, das klingt alles ziemlich bescheuert. Tut mir leid, dass ich deine Zeit verschwendet habe. Ich gehe jetzt besser wieder.« Sie stand auf, aber Kevin gab ihr mit einer Geste zu verstehen, dass sie sich wieder setzen sollte.
»Nein, Amanda«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Das klingt überhaupt nicht bescheuert. Und du verlierst auch nicht den Verstand.« Er schenkte ihr ein Lächeln, und Amanda hatte das Gefühl, als falle ihr eine Riesenlast von den Schultern. »Sag mir, denkst du viel an deine Eltern?«
»Ja, ich schätze schon. Nicht so sehr an Mum … Ich meine, ich denke an den Unfall, aber sonst beschäftigt sie mich selten.
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