Unter den Sternen von Rio
Grund musste er ihr doch dafür geliefert haben.
In Antónios Kopf arbeitete es mindestens ebenso fieberhaft wie bei Ana Carolina. Das war es also gewesen? Sie hatte geglaubt, er sei verheiratet? Meine Güte, wieso war er nicht früher draufgekommen? Andererseits hatte er seine idiotische Einwilligung, mit Alice vor den Traualtar zu treten, doch eigentlich erst als Folge seiner fehlgeschlagenen Eroberungsversuche gegeben. Hätte Caro ihn erhört, wäre er doch im Traum nicht auf die Idee gekommen, bei Alices blödsinniger Scharade mitzuspielen. Es lief also nach wie vor auf dasselbe hinaus: Sie hatte ihn nicht gewollt – und wollte ihn noch immer nicht, ihrer verschlossenen Miene nach zu urteilen.
Caro starrte gedankenverloren aus dem Fenster des Aussichtspavillons, bis ihre Großmutter sie am Ärmel zupfte und in die Gegenwart zurückholte. »Du bist so geistesabwesend, Kind. Willst du dich nicht von deinen Freunden verabschieden?« Ana Carolina schaute auf und merkte, dass António und seine Schwester im Begriff standen, zu gehen.
»Oh, entschuldigen Sie, ich habe wohl geträumt. Es muss an dieser Aussicht liegen«, erklärte Ana Carolina wenig überzeugend. Sie reichte den beiden die Hand, wobei Antónios Daumen leicht über ihre Haut fuhr, als sie die Hände langsam voneinander lösten. Es war eine ebenso unauffällige wie sinnliche Berührung gewesen, die Ana Carolina eine leichte Gänsehaut verursachte.
Die beiden gingen davon, und erst jetzt bemerkte Ana Carolina, dass António nicht den Arm um seine Schwester gelegt hatte, weil er ihr so innig verbunden war, sondern weil sie ihm Halt gab.
»Was für zwei entzückende junge Menschen«, sagte Dona Alma aufgeräumt. »So gutaussehend, wohlerzogen und von tadelloser Abstammung.«
»Das sieht
mamãe
anders. Sie nennt die Familie nur ›das Carvalho-Pack‹.«
»Ach, deine Mutter hat einfach keine gute Menschenkenntnis.«
»Mag sein«, sagte Ana Carolina.
»Der junge Senhor António hat dich ja mit seinen Blicken förmlich verschlungen«, bemerkte Dona Alma. »Ist er, oder besser, war er einmal einer deiner Verehrer?«
»Ich glaube, Sie täuschen sich,
avó.
Ihn und mich verbindet … nicht viel.« Das entsprach zumindest teilweise der Wahrheit, dachte Ana Carolina. Sie waren einander ja nur wenige Male begegnet. Allerdings waren es sehr denkwürdige Begegnungen gewesen.
»Du bist in ihn verliebt, stimmt’s?«, stocherte ihre Großmutter weiter in der Wunde herum. »Mir kannst du es ruhig sagen, wenn es so sein sollte.«
»Aber nein, wo denken Sie hin! Er ist nur … ein Freund.«
»Kindchen, ich mag ja alt und tatterig sein, aber ich bin geistig noch durchaus auf der Höhe.«
Ana Carolina hob schweigend die Schultern, als wüsste sie nicht, wovon die alte Dame sprach.
»Was ich nicht verstehe, ist, warum du dann nicht ihn erwählt hast, sondern Henrique. Versteh mich nicht falsch, Liebes, dein Verlobter ist ein vorzüglicher junger Mann, ich fand ihn sehr nett und bin sicher, dass er dir ein guter Ehemann sein wird. Aber lieben tust du ihn nicht, oder? Du liebst diesen António. Und er dich. Da er obendrein aus einer untadeligen Familie stammt sowie offensichtlich klug und wohlhabend ist, wüsste ich nicht, was gegen eine solche Verbindung sprechen sollte.«
»Ach,
avó …
«, sagte Ana Carolina und wünschte sich inständig, dass ihre Großmutter endlich aufhören würde, auf diesem Thema herumzureiten.
»Nun, jetzt ist es ja ohnehin zu spät.«
Ja, dachte Ana Carolina, das hatte die alte Dame perfekt auf den Punkt gebracht. Jetzt war es zu spät.
António musste während der gesamten Rückfahrt in der Zahnradbahn die Fragen seiner Schwester über sich ergehen lassen. Wer war diese unhöfliche Schönheit? Wieso hatte sie nicht einmal den Anstand besessen, ihre Großmutter mit vollem Namen vorzustellen, sondern nur als »Dona Alma«? Warum hatte sie ihr so feindselige Blicke zugeworfen? Und war da etwas zwischen ihm und dieser Frau?
António klärte sie knapp auf: »Sie ist die Verlobte von Henrique. Sie heißt Ana Carolina Castro da Silva und ist die Tochter der vielgeschmähten Dona Vitória. Von der hat sie wahrscheinlich auch eingeimpft bekommen, unsere Familie sei kein guter Umgang für sie.«
»Aber da war doch etwas zwischen euch«, insistierte Laura.
»Ja«, gestand António nach kurzem Zögern, »da war etwas. Aber es ist nicht mehr.«
»Bist du in sie verliebt?«, fragte Laura weiter.
»Wirke ich so?«
»Eigentlich
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