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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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gern vor, dass eine Geschichte »wahr« ist. »Ist das autobiografisch?«, heißt die übliche Frage. Teils ja, teils nein, lautet die Antwort der Verfasserin, häufig mit gereizter Stimme, weil die Frage ihr irrelevant erscheint: Sie hat versucht, die Geschichte aus dem Persönlichen ins Allgemeine zu übersetzen. »Wenn ich eine Autobiografie hätte schreiben wollen, hätte ich es getan, dann hätte ich keinen Roman geschrieben.«
    Ein Grund für mich, diese Autobiografie zu schreiben, besteht in der immer deutlicheren Einsicht, dass ich in einer außergewöhnlichen Zeit gelebt habe, der letzten Phase der britischen Kolonialherrschaft in Afrika, und dass ich zum Teil die Okkupation eines Landes miterlebt habe, die schlussendlich genau neunzig Jahre andauerte. Kaum jemand weiß heute noch, wie es in dieser Zeit aussah, nicht einmal die Leute, die in Südafrika leben. Meine eigenen Kinder sind bisweilen überrascht, wenn ich ihnen davon erzähle, und staunen wohl über die Härte des Lebens jener Zeit, über die Decken aus Tierfellen, Möbel aus Benzinkisten, Gardinen aus Mehlsäcken. Die manchmal paternalistischen, manchmal brutalen Beziehungen zwischen Weiß und Schwarz von damals haben sich gewandelt. Afrikanische Freunde, weiße Freunde können sowohl wütend als auch amüsiert darauf reagieren, wenn sie hören, dass mein Vater und Old Smoke stundenlang – jeder auf seinem Ende eines Baumstammes sitzend – miteinander philosophiert haben, während sie den »Boys« bei der Arbeit zusahen. Weiße weigern sich häufig zu glauben, wie brutal Cyril Larter und Bob Matthews waren oder dass weiße Halbwüchsige von ihren Eltern nicht einmal getadelt wurden, wenn sie »aus Spaß« so taten, als wollten sie einen schwarzen Mann oder ein schwarzes Kind mit dem Auto auf der Straße überfahren, oder dass die dümmeren unter den weißen Männern ihren Angestellten grausame Streiche spielten.
    Letztes Jahr wollte eine Fernsehgesellschaft eine Serie über Martha Quest bis zu dem Zeitpunkt drehen, wo sie nach London abreist. Gleich zu Beginn der Verhandlungen sagte ich im Scherz, dass nur eine einzige Person in der Lage sei, das Drehbuch zu schreiben – nämlich ich, weil außer mir keiner weiß, wie es früher war. Ein ausgesprochen guter Schriftsteller aus Südafrika machte ein paar Entwürfe, an denen ich merkte, dass die Zeiten in der Tat unwiederbringlich verloren waren, denn viele Kleinigkeiten gerieten ihm regelrecht daneben, und die Atmosphäre seiner Geschichte war deutlich südafrikanisch. Und es war noch etwas schief. Als ich
Martha Quest
schrieb, hatte ich mich schon gut ein Jahrzehnt lang fragen lassen müssen: Wie kommen einem Mädchen, das isoliert im Busch aufwächst, all diese klugen Ideen über das Leben und die Rassenbeziehungen? Meine Erklärung, dass sie sich jahrelang in das Beste vertieft hatte, was je gesagt und geschrieben worden ist, überzeugte die anderen nicht. Deshalb führte ich im Roman die Cohens ein, als die Ladenbesitzer in Banket und gleichzeitig als politisch denkende Intellektuelle. Es gab in Banket keine jüdischen Ladenbesitzer und wahrscheinlich auch sonst nirgends in den ländlichen Regionen. Die Cohens gingen auf spätere Erfahrungen zurück, denn einige meiner Mentoren waren wirklich jüdische Intellektuelle gewesen. Das Filmskript widmete den Cohens breiten Raum. Und da liegt ein Widerspruch. Wenn die Serie bloß irgendeine Geschichte erzählen sollte – warum nicht? Aber mein Interesse an der Serie war ein historisches. Die Wahrheit. Fakten. Et cetera. Meine eigene Feigheit stand mir im Weg. Immer wieder in meinem Leben habe ich es bereut, wenn ich auf Druck von außen oder um mir etwas leichter zu machen, Wahrheiten abgeschwächt oder verfälscht habe. Und ganz gewiss wäre der Roman nicht annähernd so informativ gewesen, wenn ich meine geistigen Kämpfe nicht objektiviert und Ideen durch Menschen verkörpert hätte. Die langwierigen Prozesse des Verstehens durch die Lektüre von Büchern oder durch eigene Beobachtungen und zufällig Gehörtes erreichen nicht die gleiche Wirkung wie eine Mrs. Cohen, die verletzt ist, weil sich ihre Söhne nicht an die Diätvorschriften halten, oder wie Martha Quest im politischen Verhör. Ein solches Verhör habe ich selbst zehn Jahre später erlebt, als meine verächtliche Heiterkeit mich eine Freundschaft kostete.
    Dann waren da die Afrikaander, die Van Rensbergs. Der Roman setzt mit einem Gespräch zwischen zwei Frauen ein, einer

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