Unter der Haut (German Edition)
in der ihm eigenen Art – wie ein Landmann in solchen Dingen eben so denkt, in seinem Fall allerdings nicht ohne Mitgefühl –, was sie quäle, sei nicht die Religion, sondern dass sie keinen Mann habe. Diese Figur der unverheirateten Frau mittleren Alters, die von allen bemitleidet oder verachtet wird, ist aus unserer Kultur verschwunden. Es gibt demnach also Fortschritte. Miss – nennen wir sie Burnett, weil ich den richtigen Namen nicht mehr weiß – hatte einen indianischen Geistführer, der bisweilen zum Beweis seiner Authentizität bei den Séancen Münzen hervorzauberte. »Warum keinen Ägypter? Warum keinen schwarzen Medizinmann, wenn sie schon so was macht?«, wollte mein Vater wissen, während meine Mutter die Augen senkte und litt. Sie, die wissenschaftlich orientierte Krankenschwester, fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut.
Die Behandlung selbst tat gut. Man saß in einem abgedunkelten Zimmer, hinter sich Miss Burnett, die ihre großen Hände sanft abwärts über die Schultern und Arme führte, während sie behutsam die Luft ausstieß und mit ihr die krank machenden Gifte. Das leise Zischen ihres Atems, wie Luft, die aus einem Loch im Reifen entweicht, die rhythmischen Handbewegungen hatten eine hypnotisierende Wirkung. Aber weder der Diabetes noch mein leichtes Fieber wurden besser. Noch die Beschwerden meiner Mutter. Ein Jahr später behauptete meine Mutter, dass auf Röntgenaufnahmen im Krankenhaus ein Gehirntumor bei ihr zu sehen gewesen sei, den die Gesundbeterin geheilt habe, aber mein Vater sagte, man habe nur ihre Röntgenbilder verwechselt.
Die Familie gehörte einem »Gebetskreis« an: Zu bestimmten, genau festgelegten Zeiten »taten« sich Leute aus ganz Rhodesien und Südafrika »zusammen« und sprachen dieselben Gebete, baten um Gnade und Wohlergehen. Ich lag auf meinem Bett und schloss mich dem Gebet an, mit klingenden Ohren. Zum Zeitpunkt meiner Rettung war ich bei einer täglichen Dosis von sechzig Gran Chinin angelangt, bei immer gleichbleibender Temperatur.
Ein Wohltätigkeitsverein bezahlte mir einen sechswöchigen Aufenthalt in den Vumba-Bergen südlich von Umtali, und zwar in einem Gästehaus, das von einer bemerkenswerten, im Umkreis von vielen Meilen berühmten alten Frau geführt wurde. Granny Fisher war achtzig und hatte erst kürzlich damit aufgehört, einmal die Woche durch die Berge nach Umtali hinunterzuwandern, meilenweit über Stock und Stein, an der Spitze einer im Gänsemarsch laufenden Schar schwarzer Träger, die auf dem Rückweg die Vorräte für das Gästehaus auf ihren Köpfen in die Berge hinaufschleppten. Sie war eine kleine, dicke, herrische alte Dame, die ihre Gäste mit Argusaugen und scharfer Zunge im Griff hatte, dabei jedoch freundlich und großherzig. Das strohgedeckte Haus war alt und weitläufig, mit unzähligen Zimmern und Veranden. Es gab einen Gemüsegarten und einen Obstgarten, und sie hatte Kühe. Aber wie verdiente sie ihr Geld? Sie verpflegte uns – nirgendwo auf der Welt könnte man heute noch so essen. Ohne Pestizide, ohne Dünger oder Gift. Die Kühe gingen an ihren Krankheiten ein, wenn sie nicht mit althergebrachten Mitteln geheilt werden konnten. Der Kompost wurde im Garten untergegraben. Die Luft war sauber. Wir aßen uns durch fünf große Mahlzeiten am Tag. Bei jeder Mahlzeit standen auf dem Tisch in regelmäßigen Abständen große Krüge mit Sahne. Der Lieblingsnachtisch von allen war in Sahne eingerührtes Granadillafleisch: halb und halb. Ich hatte die Aufgabe, die damals allenthalben wild wachsenden Granadillas zu sammeln. »Junge Menschen müssen tüchtig Sahne und Butter essen!«, ordnete sie an, wobei sie sich mit strengem Blick vorbeugte und den Sahnekrug so neigte, dass wir alle zusehen konnten, wie sich die gelbe Flüssigkeit dick über Brei, Obst oder Kuchen ergoss. Wir lachten und taten so, als wollten wir die Hände schützend über unsere Teller halten. Bis zu zwanzig, dreißig Leute saßen um den langen Tisch. Freunde der Gäste kamen zu Besuch und blieben zum Essen, oder Freunde von Freunden, und sie verpflegte alle kostenlos mit. Oder sie quartierten sich in der Ecke einer Veranda ein. Diese Atmosphäre grenzenloser Fülle, Freigebigkeit, Großzügigkeit erlebte ich vierzig, fünfzig Jahre später, als mein Sohn John Wisdom in den Vumba-Bergen eine Farm hatte, aufs Neue.
Von den Veranden des Gästehauses blickte man auf Berge, Hügel, Seen und Flüsse. Unterhalb des Hauses lag ein großer Tümpel oder kleiner
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