Unter der Haut (German Edition)
See, wo sich die Kühe den größten Teil des Tages unter den Bäumen am Wasser aufhielten oder zufrieden wiederkäuend, mit den Schwänzen schlagend, bis zu den Knien im Wasser standen. Wenn sie muhten, klang es wie ein Gespräch zwischen Klatschbasen, nie brüllten sie wie wilde Tiere, die sich über ihr Los beschweren. Ihre Kälber wurden ihnen nicht entrissen, davon hielt Granny Fisher gar nichts. Stattdessen blieben sie tagsüber bei ihren Müttern, wurden für die Nacht allerdings in einen getrennten Stall gebracht, sodass morgens, wenn die Katzen, die Hunde, die Hühner und Gänse an der Stalltür auf ihre Portion Milch warteten, gemolken werden konnte.
Ich verbrachte täglich viele Stunden im Wasser. Damals glaubte man, dass die Bilharziose durch Wunden und aufgeschürfte Stellen in den Körper dränge oder durch den Harnleiter in die Nieren, von wo aus sie sich dann heimtückisch im ganzen Körper ausbreitete. Heute weiß man, dass sie überall in die Haut eindringen kann. Es ist unmöglich, Kinder grundsätzlich aus dem Wasser zu halten, deshalb durften wir zwar baden, aber nur, wenn es gerade geregnet hatte und die Wasserlöcher oder Flüsse voll waren oder wenn unsere Haut ganz heil war – aber Kinderhaut ist immer aufgeschrammt oder verschorft – oder wenn wir aufpass- ten, dass unsere Geschlechtsteile nicht ins Wasser kamen. Aber Granny Fisher ließ sich, genau wie Alice Larter, von der Bilharziose nicht ins Bockshorn jagen. »Unsinn, ein bisschen Bewegung wird dir guttun.«
Der Teich war von Schilf und hohem Gras umwuchert, nur an den Stellen, wo die Kühe sich Wege getrampelt hatten, war das Ufer licht. Ich blieb mit den Füßen im frischen braunen Wasser stehen und ging dann mit bedächtigen Schritten, die Zehen tief im Schlick, weiter, bis ich die Beine waagerecht ausstrecken und mich vom Wasser tragen lassen konnte. Ich schwamm nicht, sondern ließ mich auf dem Rücken treiben, schlaff wie eine Ertrunkene, die auf den kleinen Wellen schaukelt. Über mir ein strahlend blauer Himmel, in dem Falken und Adler schwebten. An den Bäumen rund um den Teich hingen Hunderte von Webervogelnestern. Eisvögel flitzten durch das Schilf. Schwalben huschten über das Wasser. Dann traten die Kühe vorsichtig durch das Schilf ans Wasser und blieben unweit von mir entfernt stehen, dass ich den Wind ihrer schlagenden Schwänze auf meinem Gesicht spürte. Ihre Kälber standen zusammengeschart unter einem Baum. Es war noch keine Woche vergangen, als ich beschloss, nicht krank zu sein, und mir vornahm, nie wieder krank zu werden. Aus dieser Distanz konnte ich deutlich sehen, wie zu Hause zwei unglückliche und verzweifelte Leute echte und eingebildete Krankheiten benutzten, um sich das Leben erträglich zu machen. Nie wieder! Und Granny Fisher, die mein leichtes Fieber im Auge behalten sollte, sagte: Unsinn! Was soll das Mädchen schon haben?
Wenn ich nicht im Teich schwamm, wanderte ich oberhalb des Hauses über die Höhen, die ganz anders waren als die Landschaft bei uns. Das
highveld
, ein verheißungsvolles Stück der großen Welt, in die ich eines Tages gehen würde: von Schafen kurz gehaltenes Gras, kleine Quellen und nasse Stellen, Winde, die zwischen den höheren Bergen hindurchfegten, und Schafherden, weiß auf grün, überall, wo man hinsah.
Ich schrieb ein Gedicht.
Soll er Mondpfade nehmen, wie er will
Über die Meere wehen
oder dort, wo nur den Schafen vertraute Felsnasen,
wo Grasblumen in dünnerer Luft blinken,
soll er hochmütig droben von den Höhen winken,
ein kurzer Blick ins menschenvolle Tal,
und fort in höhere Regionen, wenn er will.
Er wird des Nachts in die Stadt herunterkommen,
in hellen Türrahmen verweilen,
und wenn Arme schimmern, jäh aufblitzende Augen locken,
durch die Nachtlokale säuseln oder
sich die Liebe holen, die nicht zu lange zaudert.
Er wird Reisegeschichten erzählen in einer hellen Bar,
manch eigentümliche, wahre Geschichte zu hören bekommen.
Doch es kommt zuletzt
eine Zeit für alle Männer, die neue Wege gehen müssen:
denn wird er von alten Fiebern geschüttelt werden,
wenn die Sonne niedrig steht?
Sollen die Nächte ihn betrügen, wenn Jahr um Jahr vergeht?
Er wird zurückgehen in das kleine unwandelbare Tal,
mit Kindern reden lernen zu guter Letzt.
Diese Verse sind hier nicht aufgenommen, weil sie schön sind: Sie interessieren mich. Zunächst einmal, weil die Verfasserin ein vierzehnjähriges Mädchen war … Doch Moment mal, das kann nicht
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