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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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mit Torpedobeschuss rechnen musste. Sie wusste nicht, ob ihr Mann noch lebte. Die britischen Behörden in Kapstadt unterstützten sie finanziell. Während der Wochen, die ich im Hotel verbrachte, sammelten die Gäste Geld für die Flüchtlinge, die mittellos waren. Junge Mütter schenkten ihr Babysachen, Frauen ohne Kinder überließen ihr eigene Kleider. Diese sehr englische Frau, die dazu geboren war, die dezenten Kleider ihrer Schicht zu tragen, steckte in unseren luftigen und lässigen Kleidern, aber ihre blauen Augen und ihr Gesicht mit den zarten Sommersprossen lächelten dem Unglück und ihrem eigenen Spiegelbild gleichermaßen entgegen, während sie zum Beispiel bemerkte, wie seltsam es doch sei, dass »wir« alle Kanonen Singapurs so aufgestellt hätten, dass sie zur See hinaus zielten, ohne zur Landseite hin für ausreichenden Schutz zu sorgen, sodass die Japaner ungehindert hätten einmarschieren können. Ebenso hatten die Briten, »wir«, verkündet, dass die
Prince of Wales
und die
Repulse
nie untergehen könnten. Genau wie die
Titanic.
Und doch sanken die Kriegsschiffe, nachdem sie von Torpedos beschossen worden waren, binnen weniger Minuten, und die
Titanic
, nachdem sie auf einen Eisberg aufgelaufen war, binnen weniger Minuten. Derlei Vorfälle haben uns bislang aber nicht davon abgehalten, den Verkündigungen der Militärexperten Glauben zu schenken. In diesen Wochen in Kapstadt freundete ich mich mit der Engländerin an, und wir lernten uns ganz gut kennen. Dann trennte uns der Krieg für immer. Nach dem Krieg ging sie mit ihren Zwillingen nach England zurück zu ihrem Mann, der noch lebte und sicher heimgekehrt war.
    Während meiner Zeit in Kapstadt sollte ich mir, so hatte Frank es vorgeschlagen, doch in einer Klinik die neuesten Verhütungsmethoden erklären lassen, weil man dort beim Thema Geburtenkontrolle besser Bescheid wisse als im armen provinziellen Salisbury. Irrtum. In der Klinik erforschte ein gut aussehender Mann mit einem behandschuhten Zeigefinger mein Geschlecht und atmete dazu heftig. Ich erkundigte mich sanft: »Ist alles in Ordnung?«, und die Sache war vorbei. Nichts ist erstaunlicher als das An- und Abschaltsystem, mit dem Frauen ausgestattet sind. Der Situation in der Klinik fehlte jede Erotik, aber nachts am Strand mit ihm allein wäre ich wie Zuckerguss zerflossen. Beim Schreiben kommt mir der Gedanke, dass sein Verhalten als sexuelle Belästigung gedeutet werden könnte. Seine vielleicht fünf Sekunden währende Verfehlung hätte dazu geführt, dass er seine Lizenz verlor, während man von mir erwartet hätte, dass ich über seinen Ruin frohlockte.
    In dem Hotel wohnte eine junge Frau aus Windhoek, die eigens dieser Klinik wegen nach Kapstadt gekommen war: Sie war einundzwanzig und hatte schon drei kleine Kinder. Ihr Mann arbeitete für einen kümmerlichen Lohn bei der Eisenbahn. Sie durften einfach keine Kinder mehr bekommen. Die Frau war wie Ivy, sie hatte die dünnen, trockenen Haare, den dünnen, unruhigen Körper, war genauso defensiv, humorvoll, kleinlaut. Dabei machten dieses junge Mädchen und ihr Mann die Sache mit drei winzigen Kindern ausgesprochen gut, keineswegs eine Kleinigkeit in diesem billigen Hotel. Sie beteten einander an. Seine große, viel zu dünne Hand wanderte immer wieder zu ihren Haaren oder ihrer Schulter. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, huschte automatisch ein liebevolles Lächeln über ihr Gesicht. Diese beiden teilten sich mit ihren drei Kindern ein Zimmer, in dem auch John und ich häufig zu Gast waren. John war von diesen neuen Freunden bezaubert – nur nicht vom Säugling, den er als Bedrohung empfand. Sie holte ihr neues Pessar aus dem seidigen Puder und sagte: »Schau dir das Ding an, schau es dir an, ich kann es nicht benutzen.« »Aber Liebes, wir müssen.« »Ach je, Liebes, du willst sagen,
ich
muss.« »Aber wenn ich einen Pariser nehme, wirst du bloß schwanger.« »Ja,
wenn
du einen nimmst.« Und sie fielen sich lachend in die Arme. Da verstand ich endlich die Mahnung meines Arztes, die ich bloß für einen persönlichen Tick gehalten hatte. Er vertrat die Meinung, dass es keinen Zweck habe, ein Pessar zu verschreiben, wenn es dann in der Schublade liegen bleibe.
    Sie war schwanger, noch ehe sie wieder nach Windhoek aufbrachen.
    Abends erklärte sich immer eine der Mütter bereit, auf die vielen schlafenden Kleinkinder aufzupassen, während sich der Rest von uns in ein Café am Wasser setzte, um etwas zu trinken. Ich trank

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