Unter der Haut (German Edition)
Kleider sowie meine Unterwäsche, die Schürzen und die Hemden für die Diener.
Wenn ich gelegentlich doch zu einer Frauenparty ging, merkte ich, dass ich nicht mehr imstande war, meine Gedanken für mich zu behalten. Es war bekannt, dass ich all diese gefährlichen Ideen hatte … Aber was für Ideen? Es war eher eine Flut von Emotionen. Manchmal werde ich in Interviews gefragt: Wie kommt es, dass Sie, so wie Sie aufgewachsen sind, verstanden, in was für einer Gesellschaft Sie lebten? Die Antwort lautet: Ich verstand es nicht. Wer eine solche Frage stellt, scheint ein Bild im Kopf zu haben von einem vielleicht zehnjährigen Mädchen, das plötzlich ausruft: Diese Gesellschaft ist zutiefst ungerecht. Wie ist es möglich, dass eine kleine Minderheit von hunderttausend Weißen eine gewaltige Mehrheit von einer halben Million Schwarzen versklavt? Aber ich wusste immer noch nicht, wie ich die Verhältnisse, in denen ich lebte, beschreiben sollte, sondern nur, was ich fühlte, und das ist etwas ganz anderes. Ich lebte meist in einem Zustand der Ungläubigkeit.
Wie kann es sein, dass es so etwas gibt?
Es konnte passieren, dass ich bei der Lektüre des
Rhodesia Herald
am Frühstückstisch laut lachend zusammenbrach, weil ich nicht glauben konnte, was ich da las. »Lass mich mitlachen«, bittet der junge Ehemann, der gleich losmuss, um seine staatstragenden Pflichten zu erfüllen. »Sieh dir das an!«, rufe ich und halte ihm die Zeitung vors Gesicht. Er stürzt seinen letzten Schluck Tee hinunter und liest. »Hmmmm … nicht sehr klug, stimmt.« Frank sprach mit einem leichten Stammeln, das er sich als junger Mann bei wesentlich älteren Arbeitskollegen abgeguckt hatte – wahrscheinlich hoffte er, dadurch mit ihnen auf eine Stufe gestellt zu werden. Die Leserbriefseite war für Lacher besonders ergiebig. »Ich möchte mich gegen die Sitte aussprechen, Kaffernmädchen als Ammen zu beschäftigen. Wollen wir, dass unsere Kinder zu Kaffern heranwachsen? – Eine empörte Mutter.« »Es besteht Gefahr, dass die vielen Ausländer und Sozialisten aus dem britischen Mutterland, die in unser Land kommen, den Eingeborenen lauter abartige Ideen in den Kopf setzen. Welche Schritte gedenkt die Obrigkeit zu unternehmen, um das zu verhindern? – Ein Demokrat.« »Guck dir das an, Frank!« Er lacht. »I-i-ich muss los. Ich seh dich beim Mittagessen.« Ich sitze mit meinem Tee am Frühstückstisch, schiebe mit einer Hand unablässig Jeans Kinderwagen auf und ab und lese den
Rhodesia Herald. Es kann einfach nicht sein.
Doch auf die Ungläubigkeit folgt Zorn, gefolgt von dem hypnotisch wirkenden, lähmenden: Aber was kann man denn erwarten? Was konnte ich denn auch tun? Mittlerweile hatte ich angefangen, die jungen Frauen von den Teepartys insgeheim mit meiner Mutter zu vergleichen – nicht mit der Frau, die sie jetzt war, die besiegte und unglückliche Frau eines sterbenden Mannes, sondern mit der Frau, die sie gewesen war. Sie wäre an keinem Punkt ihres Lebens bereit gewesen, den ganzen Vormittag mit Gesprächen über Babys, Männer, Nähen, Stricken, Essen, Diener und »Wer-will-schon-eine-Frau-sein« zu vertrödeln. Zwischen Frauen wie meiner Mutter, Granny Fisher, meiner Schwiegermutter und diesen Beamtengattinnen klaffte ein Abgrund, in dem man allen Glauben an sich selbst verlieren konnte. Von uns wurde nichts verlangt – das war das Problem. Keine von uns arbeitete, und es wurde auch nicht anders erwartet. Wir würden zwei oder drei, vielleicht vier Kinder bekommen, den Haushalt führen, für die Familie Kleidung nähen und uns mit zunehmendem Alter karitativen Aufgaben widmen. So sah ich es damals, aber das Schicksal hatte anderes mit den Frauen vor, denn sie waren es, die dreißig Jahre später im Befreiungskrieg zu den Waffen griffen, um ihre Lebensweise zu verteidigen.
Und was machten die Kleinen? Wenn John im Garten war, spielte er glücklich und zufrieden mit dem
piccanin.
Kreischendes Lachen, wenn er auf die Straße floh und wieder zurückgejagt werden musste. Aber er konnte schließlich nicht immer im Garten sein. Im Haus war er dagegen kein vergnügter kleiner Junge mehr. Dort war er misstrauisch, böse, eifersüchtig. Wenn ich das Neugeborene stillte, stürmte er mit erhobenen Fäusten auf uns beide los oder hockte sich in eine Zimmerecke und heulte laut vor Wut, als hätte man ihn bewusst im Stich gelassen. Als das Baby abgestillt war, trat keine wesentliche Besserung ein. Ich konnte ihn nicht mit der Kleinen
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