Unter der Haut (German Edition)
Baba.«
So schön war dieses ständige Gelobtwerden bei Tag und Nacht, dass Doris einmal bei einem förmlichen Gesandtschaftsdiner hereinplatzte, ihr Töpfchen präsentierte und verkündete: »Doddis brav,
gute
kleine Baba.« Ich hätte dieser Erinnerung keine besondere Bedeutung beigemessen, wenn dieselbe Doris nicht Jahrzehnte später nach Abschluss eines Romans, der am darauffolgenden Tag im Verlag sein sollte, geträumt hätte, sie wäre ins Büro des Verlegers marschiert – übrigens Jonathan Cape – und hätte ihm einen Nachttopf mit dem Manuskript entgegengehalten. Doris war ein braves kleines Mädchen gewesen. Sie war erfüllt von glühendem Stolz auf ihre Leistung, sie hatte sich liebevoller Zuneigung würdig erwiesen.
So weit mein Beitrag zum Verständnis der alles andere als einfachen Beziehungen zwischen Verlegern und Autoren. (Ich halte es für notwendig, den Uneingeweihten zu erklären, dass dieser Traum nach Meinung der Fachleute ein gutes Zeichen ist.)
Im Kinderzimmer herrschten zwei Frauen. Meine Mutter war riesengroß, kräftig, ein vor Leben sprühendes Effizienz- und Energiebündel, und ich ließ sie nie ganz aus den Augen, weil ich fürchtete, sie könne mich versehentlich umrennen und auf mich treten. Sie war größer und breiter als die andere Frau, die ein Erwachsener als klein bezeichnen würde: Marta, eine Syrerin, eine schroffe alte Frau, unser Kindermädchen. Sie sprach nur französisch. Das gefiel meiner Mutter, die auf eine ordentliche Bildung für ihre Kinder sehr viel Wert legte. Hat das meine Begabung fürs Französische gefördert, obwohl ich es immer nur gelesen habe und im Sprechen nie über Situationen im Restaurant oder im Taxi, Fragen nach dem Wetter oder den Wohnort hinausgekommen bin? Man könnte sagen, ja; denn vor alle anderen Sprachen, die ich zu lernen versuche, schiebt sich mir, egal wie ich mich anstrenge, das Französische. Als Erstes kommt immer das französische Wort und muss gewaltsam vertrieben werden. Oft Babysprache aus dem Kinderzimmer.
Genauso, wie ich mich jetzt frage, wer Emily Flower war, von der nicht einmal eine Fotografie blieb, oder Caroline May Batley, deren Sohn sie nicht leiden konnte und deren Mann noch im selben Jahr, als sie starb, wieder heiratete, wüsste ich gern mehr über Marta, die gezwungen war, sich bei einer englischen Familie als Kindermädchen zu verdingen. »Die alte Marta.« Auf den Fotos allerdings sieht sie nicht alt aus. Krieg, Hungersnot, Unglück, persönliches Pech – was hatte sie dazu gezwungen, in dem strengen englischen Haushalt zu arbeiten, wo Leiden und Einsamkeit ihre Zunge spitz und die Hände rau und grob werden ließen? Jedenfalls für mich. »Bébé ist mein Kind, Madame. Doris ist nicht mein Kind. Doris ist Ihr Kind. Aber Bébé ist meins.« Das hat sie gesagt. Oft. Und noch öfter hat man mich daran erinnert, meine ganze Kindheit hindurch. Mit der Schadenfreude, die solche Mitteilungen immer begleitet. Mittlerweile betrachte ich dieses Vergnügen an der Bekräftigung meiner Unzulänglichkeiten nicht mehr nur als unsensibel, was es
auch
war, sondern als eine der vielen Ausdrucksformen der natürlichen theatralischen Begabung meiner Mutter. Sie hätte Schauspielerin werden können, aber ich bin sicher, dass sie nie auf die Idee gekommen ist. Wenn es schon schlimm war, dass eine Tochter aus gutem Hause Krankenschwester wurde, wie hätte sie da zur Bühne gehen sollen? John William hätte die Schande nicht überlebt. Und doch war sie zur Schauspielerin geboren. Noch Jahre nach der Zeit im Teheraner Kinderzimmer ließ sie Marta, die reizbare, zeternde alte Frau, vor unserem geistigen Auge wieder lebendig werden. »Ich musste ihr verbieten, dich zu schlagen und zu kneifen. Baby hat sie nie geschlagen. Dazu hat sie ihn zu sehr geliebt. ›Méchante, tu es méchante!‹«, schnauzte sie mich mit Martas Stimme an. Und ich wusste, wie sie ihren Vater erlebt hatte, denn sie spielte den kaltherzigen, bösen Mann, der ständig selbstgerechte Plattitüden im Mund führte, perfekt. Und das verängstigte kleine Mädchen stand stocksteif vor ihm und blickte der Autorität tapfer ins Auge.
Sie weinte nicht, wenn ihr Vater streng war: Sie behauptete sich, indem sie alles erfüllte, was er von ihr verlangte, und mehr. Ich hingegen kämpfte mit Marta um meine Rechte im Kinderzimmer, und ungeliebte Kinder sind nicht »nett« oder »gentils«. Wer aber liebte die Kleine? Ihr Vater. Der Geruch von Männlichkeit, Tabak,
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