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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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aufgeladen, dass er die Abstimmung gewann. Nathan stand sofort auf und verabschiedete sich, weil er nicht zustimmen könne und das Ganze unverantwortlich sei. Frank Cooper schickte ihm ein verächtliches kaltes Lächeln mit der Bemerkung hinterher: »Gott sei Dank sind wir den Blödmann los.« Gottfried sagte, dass er bleiben werde, obwohl er der gleichen Meinung wie Nathan sei. Ken wollte auch bleiben. Dorothy Schwartz unterstützte Frank.
    Wir teilten der Kommunistischen Partei Südafrikas in Kapstadt mit, dass wir vorhätten, eine Kommunistische Partei Südrhodesiens zu gründen, und erhielten die Antwort, dass man dagegen sei, weil es keine »konkrete« Basis für eine solche Partei gebe. Frank meinte: »Ach, sagt ihnen, dass wir trotzdem schon eine gegründet haben!« Später fand ich heraus, dass die Genossen in Kapstadt viel zu wenig von uns hielten, um uns in ihre »Landkarte kommunistischer Organisationen« aufzunehmen: Wir waren für sie nicht mehr als ein Ordner in ihrem Aktenschrank.
    Das hat zur Folge, dass ich nie weiß, was ich sagen soll, wenn man mich nach meiner Zeit in der Kommunistischen Partei fragt. Dem Gefühl nach lautet die richtige Antwort, dass ich vielleicht zwei Jahre lang Kommunistin war, und zwar von 1942 bis 1944 in Südrhodesien – ob das aber organisationstechnisch stimmt, ist durchaus strittig. Der Kommunistischen Partei bin ich, glaube ich, 1951 beigetreten, und zwar in London, aus Gründen, die ich auch heute noch nicht so richtig verstehe, aber ich bin nie zu den Versammlungen gegangen und war schon damals eine »Dissidentin«, obwohl es das Wort noch gar nicht gab.
    Das Interessanteste ist für mich, von heute gesehen, die Sprache, derer wir uns bedienten. Seit Jahrzehnten amüsieren wir uns nun schon über Phrasen wie »kapitalistische Hyänen«, »der Verrat der Sozialdemokraten«, »Minenhunde des Faschismus«, »Lakaien der herrschenden Klasse« und so weiter. Sie würden ein ganzes Lexikon füllen. Wir lachen, obwohl doch mithilfe dieser Sprache Anklagen erhoben wurden, durch die Millionen Menschen in den Tod geschickt wurden. Jahrelang wurden die Grausamkeiten des Kommunismus entschuldigt mit dem meist unausgesprochenen Satz: »Ja, sieh dir doch ihre Geschichte an, was willst du da anderes erwarten?« Als wir mit diesem Schmähvokabular vertraut gemacht wurden, lachten wir unserem ersten Impuls folgend nervös, doch sofort lastete der theatralische Blick Frank Coopers auf uns. Theatralik, genau das sehe ich heute darin. Wir spielten eine Rolle. Das Stück stammte aus der Feder der »Geschichte« – der Französischen Revolution, in der diese Art Sprache zum ersten Mal gebraucht worden war, und der Russischen Revolution –, und wir waren die Schauspieler, die die Sätze nachzuplappern hatten. Wir konnten uns dieser Sprache nicht bedienen, ohne zu lachen, trotz Frank Cooper. Wir setzten die Phrasen in Anführungszeichen oder warfen uns betonte Blicke zu, während wir sie in nüchternem Ton aussprachen. Dorothy Schwartz beherrschte das ganz besonders gut. Sie konnte zum Beispiel sagen, dass die und die Person des öffentlichen Lebens ein Speichellecker der herrschenden Klasse mit infantilen, linken Funktionsstörungen sei, und dabei leicht die Augen verdrehen und ihre Stimme wie ein anglikanischer Bischof senken, der den Schlusspunkt seiner Predigt erreicht. Nach und nach, aber doch binnen ein paar Monaten, ließen wir diese Schmährhetorik fallen.
    Als ich einen Teil dieser Erfahrungen in
Die Terroristin
umsetzte, bekam ich mehr und interessantere Zuschriften von Lesern als je zuvor. Einige Briefe stammten von Leuten, die in der Frühphase der Roten Brigaden in Italien dabei gewesen waren, und sie erzählten davon, dass tatsächlich viele Gruppen mit der gleichen betriebsamen, amateurhaften Herumpolitisiererei, wie sie in meinem Buch geschildert wird, ihren Anfang genommen hatten, bis dann »die Sprache die Macht über sie ergriff« und sie sich in unbarmherzige und effiziente Mordtrupps verwandelten. Die Formulierung »Die Sprache ergriff die Macht über sie« tauchte mehr als einmal auf. Wir sollten sorgfältig darauf achten, mit wem wir Umgang pflegen – und welcher Sprache wir uns bedienen. Regierungssysteme, ja ganze Länder sind in den Bann einer Sprache geraten, die Köpfen entsprungen ist, in denen nur Hass und Missgunst herrschen, und die sich ausbreitet wie ein Virus. Wenn Streitkräfte ihren Soldaten das Töten beibringen, achten die Ausbilder sorgfältig

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