Unter der Haut (German Edition)
kommunistischen Parteien in Europa gemeinsam hatten. In uns loderte die echte, ursprüngliche Flamme, wir waren durchdrungen vom Geist Lenins, wir lebten und sprachen, als könnten wir schon am nächsten Tag vor dem Erschießungskommando stehen. »Ein Kommunist ist ein Toter auf Urlaub« – mit solchen Phrasen warfen wir in vollem Ernst um uns. Kurze Zeit jedenfalls.
Wir hatten jeden Tag eine ordentliche, gut geleitete und gut protokollierte Gruppensitzung. Mindestens zweimal pro Woche gab es politische Schulungen. Es gab Treffen der »Medical Aid for Russia«, organisationsinterne und öffentliche Treffen der »Friends of the Soviet Union«, des Left Club und von »Race Relations«.
Da saßen wir dann zu zehn, zu fünfzehn oder zwanzig Leuten – je nachdem, ob man die Männer von der Royal Air Force aus dem Camp gelassen hatte oder nicht – mit eiserner Konzentration beisammen und betrachteten uns gegenseitig durch den Zigarettenrauch hindurch. Wir kamen direkt aus dem Büro, aus den Camps der Air Force oder aus den Löchern und Winkeln, in denen wir wohnten, in unser kahles und staubiges Büro über einem Café. Und mitten unter uns saß Frank Cooper, der im Camp anscheinend aus und ein ging, wie es ihm gefiel.
»Genossen, zuallererst müssen wir in sämtlichen fortschrittlichen Organisationen hier in der Stadt die Macht übernehmen – in den sogenannten fortschrittlichen.« Dazu lachte er sein lautloses verächtliches Lachen. »Das wird ganz einfach sein. Kommunisten sind nämlich für alle Aufgaben am besten geeignet.« Es war gut möglich, dass er an dieser Stelle in jedes Augenpaar blickte, in eines nach dem anderen, und das mit einem Blick, der engagiert, vertraulich und unverschämt zugleich war. Für die Genossinnen enthielt er dazu noch eine kräftige Dosis sexueller Anzüglichkeit. »Denkt nur mal daran, dass diese Narren es nicht für nötig halten, bei Versammlungen zu erscheinen. Sie lassen fünf gerade sein, aber wir nicht. Jeder Kommunist, der was taugt, kann eine Organisation innerhalb von einem … Monat übernehmen … und kein Tag mehr!«
Gottfried und Ken verhielten sich still und abwartend. Sie unterbrachen vielleicht mit kleinen Anmerkungen zu Verfahrensfragen oder Hintergründen, aber es war ihnen klar, dass sie mit Frank nicht konkurrieren konnten.
»Dorothy, du wirst Vorsitzende der …« Sagen wir einmal der Democratic League – was es wirklich war, habe ich vergessen. »Bertha, du wirst Vorsitzende des Trade Union Social Club.« (Ich erfinde, ich kann mich nicht erinnern.) »Genossin Tigger, du übernimmst den Beveridge Report.« Das war eine große und sehr aktive Organisation, die sich mit den Beveridge-Vorschlägen beschäftigte, die später die Grundlage für den Wohlfahrtsstaat bildeten. Ich wurde dort fast vom Fleck weg in den Vorstand gewählt. Frank Cooper hatte – leider – recht. Die meisten Bürger sind zu vernünftig und zu ausgeglichen, als dass sie Lust hätten, jede Woche etliche Stunden auf das Ränkeschmieden oder auf Pläne zur Machtübernahme bei einer Organisation zu verwenden. Doch die Leichtigkeit, mit der wir alle Sekretäre, Vorsitzende, Vorstandsmitglieder wurden, ängstigte uns doch. Wir rissen vielleicht Witze darüber, doch gut fanden wir das Ganze nicht.
»Aber«, protestierte Dorothy Schwartz, »alle Genossinnen sind doch längst Vorsitzende oder Bibliotheksverwalterinnen von irgendwas.«
»Ist doch völlig egal«, sagte Frank gedehnt. »Die Genossen von der Royal Air Force können sich nicht öffentlich an politischen Aktivitäten beteiligen, genauso wenig wie die Flüchtlinge. Das würden die Bürger von Südrhodesien nämlich
gar nicht
gerne sehen, und deshalb müssen die Mädels das machen.«
Die Mädels waren Dorothy, Bertha Myers, eine Lehrerin, Phyllis Loveridge, ebenfalls Lehrerin, ich und ein paar andere. Wir hatten auch ein paar rhodesische Gewerkschaftsleute dabei – lauter Männer. Die Angehörigen der Royal Air Force waren wie die Schwalben oder die Störche, sie würden bald wieder weg sein. Als Gottfried anmerkte: »Ich denke, du wirst mir recht geben müssen, dass wir hier keine Basis haben«, reagierte Frank mit einem höhnischen Grinsen: »Es dauert nicht mehr lange, dann haben wir afrikanische Kader rekrutiert.«
Die Organisation, die wir »Race Relations« tauften – ein beruhigender Name, wie wir fanden –, lockte von Anfang an ein überschwängliches und zorniges Publikum an, das leidenschaftlich Partei
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