Unter der Haut (German Edition)
darauf, ihnen hassgeschwängerte Ausdrücke in den Mund zu legen: Es ist leichter, ein degeneriertes Schlitzauge oder einen schwarzen Affen zu töten. Wenn Folterer ihr Handwerk an Lehrlinge weitergeben, schöpfen sie aus einem hässlichen Wortschatz. Wenn revolutionäre Gruppen einen Coup planen, sind ihre Widersacher moralisch minderwertig. Und die Hexenverbrennungen wurden von einer Litanei an Verleumdungen begleitet.
Wenn unsere Gruppe – viel mehr war es nicht – damals Bestand und nicht nur die Überlebenschancen einer Kamelie in der Karru-Steppe gehabt hätte, vielleicht hätte die Sprache dann auch über uns die Macht ergriffen.
In
Eine richtige Ehe
gibt es folgende Passage: »Was sie, kurz gesagt, wollte, war irgendeine Art von Rache: Wenn das erste politische Gefühl von Menschen wie Martha Zorn ist, dann ist das zweite blinde Anarchie: Falls jemand sie in diesem Augenblick aufgefordert hätte, eine Schusswaffe in die Hand zu nehmen und sich auf den Weg zu machen, um die Menschen auszulöschen, die sie zur Närrin gemacht hatten, dann wäre sie, ohne nachzudenken, gegangen. Glücklicherweise gab es jedoch niemanden, der eine solche Forderung an sie gestellt hätte.« Als ich das schrieb, tat ich das ganz beiläufig, nur um ein kleines Schlaglicht auf die Situation zu werfen. Inzwischen lese ich es mit so etwas wie Schrecken und Dankbarkeit, denn: »Allein durch Gottes Gnade habe ich diesen Weg nicht beschritten.«
Wir sagen Dinge wie diese: Stalin hat im Rahmen der erzwungenen Kollektivierung der Kleinbauern in der Ukraine neun Millionen Menschen ermordet. – Stalin hat während der Säuberungen … Millionen Menschen ermordet. (Welche Zahl der Autor auch immer für die richtige hält.) In China hat Mao während des Großen Sprungs nach vorne und der Kulturrevolution … Millionen umgebracht, um nur zwei der Blutbäder zu nennen, die dort stattgefunden haben.
Doch diese Morde wurden von jungen Aktivisten begangen, von treuen Mitgliedern der Kommunistischen Partei. Von Menschen wie … Über Jahre habe ich mir immer wieder selbst versichert: Nein, nein, ich hätte das nicht getan, hätte es nicht gekonnt. Kann ich mir vorstellen, dass ich dabei zugesehen hätte, wie Millionen von hungernden Kleinbauern, die man von ihrem Grund und Boden vertrieben oder denen man mit Gewalt alle Nahrung genommen hatte, sich aufs Land flüchteten, sich auf den Bahnhöfen drängelten, und dass Dutzende, Hunderte, Tausende von ihnen starben? Hätte ich tatsächlich gesagt: Wo gehobelt wird, fallen Späne? Nun, der Versuch, mir selbst zu bestätigen, dass ich etwas Vergleichbares nicht hätte tun können, bedeutet gleichzeitig, dass ich sage: Ich bin ein viel besserer Mensch als die vielen Hunderttausend, meist jungen Leute, die gemordet, gefoltert und gequält haben, in der Sowjetunion, in China und sonst wo. Warum, wie, kann ich so etwas denken? So etwas glauben? Im Lauf meines Lebens habe ich immer und immer wieder beobachtet, wie Menschen durch ihre Emotionen massenweise in die eine oder andere Richtung getragen wurden und keine größere Chance hatten, sich zu wehren, als Fische bei Hochwasser. Wir wissen nicht nur aus eigener Beobachtung, dass wir diesen Strömungen hilflos ausgeliefert sind. Experimente an Universitäten bestätigen diese Erfahrung. Durch die berühmten Milgram-Experimente wissen wir, dass die Mehrheit der Menschen dem Befehl, zu foltern und zu töten, folgen würde. Das mag ja alles sein, murmele ich, aber es war eine
Mehrheit
, oder etwa nicht? Und zu dieser Mehrheit hätte ich nicht gehören
müssen
, oder?
Ich hätte eine reine Seele sein können, wie Ossip Mandelstam, wie seine Frau Nadeschda, oder? – Aber nicht doch, ich muss der Tatsache ins Auge blicken, dass ich und alle meine hochgesinnten lieben Genossen, und zwar sowohl die aus jener schimärenhaften Kommunistischen Partei Südrhodesiens als auch viele, die ich seither kennengelernt habe und von denen einige noch immer aus den überholten Gewissheiten des Kommunismus beruhigende Gewissheiten ziehen – dass wir alle aus dem gleichen Holz geschnitzt waren wie diejenigen, die mit reinem Gewissen Morde begingen. Wir hatten einfach Glück, mehr nicht.
Eine richtige kommunistische Gruppe waren wir für, ich würde mal sagen, achtzehn Monate, nicht viel länger. Wenn ich »richtig« sage, dann bedeutet das aber nicht, dass wir etwas mit den echten kommunistischen Parteien in kommunistischen Ländern oder mit den etablierten
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