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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Schriftsteller oder Künstler verfügt, eine Senkgrube oder eine Quelle gibt aus Hass, und dazu immer auch Menschen, die bereit sind, sie hineinzutauchen. Damals in Salisbury in Südrhodesien dauerte die Phase, in der wir uns die Größen auf diese Weise vorknöpften, nur kurz, und sie war eigentlich auch ziemlich harmlos verglichen mit Großbritannien oder den großen Vorbildern wie der Sowjetunion. Selbstverständlich ermahnten Gottfried und andere uns, nur Majakowski und Gorki zu bewundern, nur Schriftsteller mit proletarischem Hintergrund, doch Menschen, die durch Literatur geprägt werden, sind schlicht nicht bereit, ihre geistigen Vorfahren zu verfluchen.
    Und noch eine Erinnerung taucht vor meinem geistigen Auge auf: Wir haben über proletarische Literatur diskutiert. Als wir uns, schwindelig vom Reden und vom Zigarettenrauch, von den Stühlen erheben, ist deutlich zu sehen, wie Dorothy lächelt und sich gleich in einer Weise an Gottfried wenden wird, auf die wir uns schon alle freuen: »Was mich anbelangt, ich werde mich früh schlafen legen, und es könnte
gut
sein, dass ich mir
Krieg und Frieden
ins Bett mitnehme.« Dann verdreht sie leicht, aber doch triumphierend die Augen und geht.
    Heute bewundere ich die Taschenspielertricks, mit denen wir Schriftsteller mit Wohlwollen bedachten, die wir unseren Instruktionen nach eigentlich verachten sollten. Lawrence? Ja, der war doch der Sohn eines Bergarbeiters, oder? Eliot? Er beschrieb die Dekadenz der Bourgeoisie. Yeats? Er war Ire, Angehöriger eines unterdrückten Volkes. Virginia Woolf? Sie war eine Frau. Orwell? Die Partei beleidigte ihn damals, wo es nur ging, weil er die Wahrheit über Spanien gesagt hatte. Das Problem war, dass einige von uns ihn verehrten. Wie haben wir diese Klippe umschifft? Ich habe es vergessen. Aber keine Sorge, die
Political Correctness
von heute, dieser Spross der marxistischen Dialektik, führt dieselben Denkmuster vor.
    Eine weitere Szene: Ein halbes Dutzend von uns sitzt um einen Tisch und schreibt Spendenbittbriefe zugunsten der verschiedenen Organisationen, die wir ins Leben gerufen haben. Wir sind alle in Hochstimmung und lachen, animiert von unserem Spott über die Menschen, die wir um Geld bitten, unsere »ehrenwerten Sponsoren«. Weil wir in einer Kleinstadt leben und es deshalb nicht genug Philanthropen gibt, tauschen wir unsere Sponsoren wie Spielkarten. »Du kannst den Stadtrat Smith für die Medical Aid haben, wenn ich dafür den Parlamentsabgeordneten Jones für die Friends kriege.« »Dann will ich aber den Minister X.« »Und ich will den Rechtsanwalt Y.« Die meisten von ihnen tauchten gleich auf den Briefköpfen aller Organisationen auf. »Ihm haben wir letztes Mal fünf Pfund abgeschwatzt.« »Dann kann er ja diesmal wieder fünf ausspucken. Die machen das doch sowieso nur, damit ihr Name auf den Briefkopf kommt.« Was hatten unsere »ehrenwerten Sponsoren« getan, um solche Verachtung zu verdienen? Sie waren per definitionem erfolgreich. Sie waren nicht mehr jung. Und das Schlimmste war, dass sie keine Revolutionäre waren. Menschen, die daran glaubten, dass der Sozialismus oder auch nur eine gerechte Gesellschaft mit friedlichen Mitteln zu erreichen war, waren bestenfalls feige Speichellecker der herrschenden Klasse.
    Ungefähr fünfzehn Jahre später, zu einer Zeit, als auch mein Name als der einer ehrenwerten Sponsorin auf einem Briefkopf steht, befinde ich mich in einem Büro, in dem ich aufschnappe, wie eine junge Frau, die Schatzmeisterin, zum Sekretär der Organisation (der inzwischen Professor mit einem untadeligen Ansehen ist), einem jungen Mann, der die damals moderne Uniform der Linken trägt, nämlich eng anliegende Jeans und einen übergroßen Pullover mit einem Loch am Ellbogen, sagt: »Es wird Zeit, dass wir unseren ehrenwerten Sponsoren wieder mal ein bisschen Geld abluchsen.« Mit der gleichen sarkastischen Verächtlichkeit wie wir damals.
    Edward Upward, ein britischer Kommunist, hat einen Romanzyklus verfasst, in dem er wie in einem Mikrokosmos nicht nur seine Erfahrungen, sondern die von uns allen beschreibt – und die von tausend anderen Gruppen. Der Titel des Zyklus lautet
The Spiral Ascent.
Damals glaubten noch alle, dass wir in einer Zeit lebten, in der alles nur besser werden konnte. Die Menschheit war auf dem Weg zu allgemeinem Wohlstand und Fortschritt – wenn man zu den Roten gehörte, verstand es sich von selbst, dass beides nur von den Kommunisten erreicht werden konnte. Der

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