Unter der Haut (German Edition)
den Kriegsdienst verweigert? Solche Leute kamen früher bei uns ins Kittchen, und das war ganz richtig.«
»Ich denke, darüber kann man verschiedener Ansicht sein.«
»Nein, ich glaube nicht, nicht unter rechtschaffenen Leuten.«
Zu David Allan entwickelte ich eine ähnliche Beziehung wie zu den anderen »alten Männern«. Aber ich wurde allmählich erwachsen und bezeichnete sie im Geist schon nicht mehr so. David unterhielt sich mit mir gern über Religion. Ich war immer noch eine militante Atheistin und hatte alle Argumente, die ich heute als allzu simpel empfinde, im Kopf aufgestellt wie Zinnsoldaten. Er war Anglikaner der Low-Church und in seinem Gottesglauben unbeirrbar. So ließ er beispielsweise einen außerordentlich wertvollen Bullen, den er eben erst hatte einfliegen lassen, erschießen, weil dieser einen leichtsinnigen schwarzen Hirten getötet hatte. Als sie von diesem Todesurteil hörten, fuhren die Leute scharenweise hinaus, um ihn zu bitten, das Tier zu verschonen: Sie kamen an den Wochenenden angefahren, nur um das Tier zu sehen – eine Art Tadsch Mahal des Tierreichs. Aber es nutzte nichts. »Er hat unrecht getan, er muss bestraft werden.« »Aber er hat nicht gewusst, dass er unrecht tut«, sagte Gottfried. »Im Gesetz steht, dass man nur für Mord bestraft werden kann, wenn man bewusst einen Mord begeht.« »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, sagte David Allan.
Die Zeit schleppte sich dahin … Mein Leben bestand nur aus Flickwerk und Fragmenten, lauter Einzelteilen ohne Zusammenhalt außer dem einen Gedanken: Bald (aber wann?) bin ich nicht mehr hier. Abends kamen jetzt weniger Leute vorbei. Unsere jüdischen Freunde waren nach Israel gegangen. Simon war tot. Die Angehörigen der Royal Air Force durften endlich nach Hause. Umso mehr kam es uns vor, als befänden wir uns auf einer weiten, wüstenartigen Bühne ohne Begrenzung, über die Leute getrieben wurden und wieder verschwanden … Manchmal, wenn ich vor Rastlosigkeit nicht mehr aus noch ein wusste, ließ ich Gottfried mit seiner byzantinischen Geschichte sitzen, mit seinen Russischbüchern oder mit seinem Freund Hans Sen und ging in den Straßen und Alleen spazieren. Es gab nur wenige Straßenlaternen und nur wenige Autos. Die flache kleine Stadt schrumpfte unter dem Druck der Sterne und eines Mondes, der nie still stand, in die Erde hinein. Ich spazierte unter den Jakarandas und den spanischen Zedern dahin, an Häusern vorbei, aus denen Licht, Musik und Radiostimmen drangen. Man konnte eine Stunde laufen oder zwei, hin und her, auf und ab, und hörte aus jedem Haus dieselbe Melodie.
There’s a small hotel, with a wishing well,
I wish that we were there, together …
Love walked right in and drove the shadows away
Love walked right in and brought my sunniest day
One magic moment and –
Aus jedem Haus drangen sie gleichzeitig in all diese empfänglichen Köpfe, auch in meinen, und nährten meine Sehnsucht nach Liebe und Entkommen. Gegen zehn wurden die Häuser dunkel, und ich ging nun durch dunkle Straßen. Laternen warfen Lichtkegel auf das Pflaster und erhellten meinen Weg in regelmäßigen Abständen. Stille. Eine stille Stadt. Ich blieb unter den ausladenden Bäumen stehen und sah mir an, wie das Mondlicht durch die Blätter fiel. Hunde bellten. Bald, bald würde ich von hier fort sein …
Night and day I think of you
… Es kam mir nie in den Sinn, dass ich auf Schwierigkeiten stoßen könnte. Ich würde mich in den Weltraum erheben und in London einfliegen, aber aus eigener Kraft. Ich würde kein Geld haben. Also wirklich, wie spießig, um nicht zu sagen kleinbürgerlich kann denn einer sein? Du wirst mit einem kleinen Kind in London sitzen, ohne Geld? Ach, es wird schon alles werden. Es ging tatsächlich gut, aber rückblickend erscheint es mir bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit ich davon ausging. Es wird sehr schwierig, das muss mir doch jemand gesagt haben, aber falls es so war, habe ich nicht zugehört. Ich schrieb freundschaftlich-liebevolle Briefe an zwei Piloten der Royal Air Force, die wieder in England waren. In ihren Briefen an mich beschrieben sie die Nachkriegszeit in Großbritannien, aber das konnte mich nicht schrecken, weil jede Andeutung von Not und Elend nur meine hochfliegende Zuversicht nährte. Ich würde schnell Freunde und einen Liebhaber finden, und außerdem würde Gottfried in London sein. Ich rechnete damit, dass wir uns bestens verstehen würden, wenn wir nicht
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