Unter der Haut (German Edition)
sah, wie die Kerze schräg in Mrs. Mitchells Hand hing, das Kerzenwachs tropfte, die Flamme in die Länge wuchs, flackerte und ein paar Zentimeter Moskitonetz anräucherte.
Mrs. Mitchell und ihr Sohn brüllten und schrien die schwarzen Hausangestellten an. Als mein Vater der Frau Vorhaltungen machte, schrie sie ihn an, er verstehe nichts von dem Land; für mich war es wohl das erste Mal, dass ich all die Klischees der Weißen zu hören bekam: Sie verstehen die Probleme hier nicht. Die verstehen nur Schläge. Die sind nichts als Wilde. Die sind eben erst vom Baum geklettert. Man darf sie nicht über die Stränge schlagen lassen. (Wie die Kinder bei Dr. Truby King.)
Dem Sohn von Mrs. Mitchell ging ich so oft wie möglich aus dem Weg. Er war höchstens zwölf, aber mir kam er so stark vor wie ein Erwachsener. Er quälte und schikanierte das schwarze Kind, das als
piccanin
im Haushalt war. Er jagte und quälte und schikanierte die Hunde und Katzen. Mit seinem Katapult zielte er nicht nur auf Vögel, sondern schoss auch jedem Schwarzen, der in seine Nähe kam, Steine vor die Füße.
Nichts, was ich tun kann, und wenn ich meinem Gedächtnis noch so gut zurede, fördert mehr zutage als das, was ich hier berichtet habe: Kein Vorfall und kein Ereignis vermag meine grauenhafte Angst vor dieser Frau zu erklären. Wahrscheinlich hat sie mich nie wirklich geschlagen oder brutal behandelt, und meine Angst rührte nur von der grässlichen, wütenden Stimme her, von dem schrillen Geschimpfe der Schwarzenhasserin.
Ich kann mir überhaupt keine Vorstellung davon machen, wie dieses Jahr für meinen Vater war. Seine Frau war bettlägerig, und wenn sie herzkrank war, gab es keinen Grund, weshalb sie je wieder gesund werden sollte. Das Geld war sehr knapp, doch jedes Mal, wenn es ihr schlechter ging, kam der Arzt aus Sinoia. Zwei kleine Kinder, das eine noch keine sechs, das andere vier. Sie brauchten zärtliche Fürsorge, aber was sie bekamen, waren Mrs. Mitchell und ihr Grobian von Sohn. Mein Vater versuchte immer noch, Stümpfe zu beseitigen, Wald zu roden, Felder anzulegen. Er musste den ganzen Tag unten auf dem Land zubringen, denn ehe die Felder nicht fertig waren, konnte es keine Ernten geben. Unterdessen wuchsen die Schulden bei der Land Bank.
Für einige Monate hatte er einen Assistenten, einen Niederländer mit vielen Kindern. In der Erzählung
Die zweite Hütte
habe ich Erinnerungen aus diesem Jahr verarbeitet.
Schon zu dieser Zeit begannen wir Kinder, mit unserem Vater unten über die Felder zu ziehen. Das Pferd war gestorben: Unser Teil des Distrikts taugte nicht zur Pferdehaltung, sie wurden krank. Auf dem
sandveld
auf der anderen Seite des Distrikts gediehen Pferde gut, und dort betrieb man Rennsport. Wir kauften zwei Esel, und auf einem ritt mein Vater. Meinen Bruder und mich setzte er auf den andern. Später schafften wir ein Auto an, einen Overland aus dritter oder vierter Hand. Wir, die Kinder, die Hunde Lion und Tiger, beides muntere Promenadenmischungen, Flaschen mit kaltem Tee und Kekspackungen aus dem Laden, das alles wurde mit meinem Vater hinunter auf die Ländereien verfrachtet, und wir spielten im Busch, während meine Mutter im Bett lag und von Mrs. Mitchell versorgt wurde.
Sie verließ uns. Nach ihr kam eine Frau, die ehrenamtlich half, aus Freundlichkeit: die Dänin Mrs. Taylor. Sie führte ein eigenes Leben, zog nicht bei uns ein, sondern blieb immer nur ein paar Tage, fuhr ab und kam wieder, und wir vergaßen bald die albtraumhafte Mrs. Mitchell. Mrs. Taylor war eine große, ruhige, gut aussehende Frau, und mein Vater mochte sie sehr. Mein Vater mochte Frauen überhaupt. Und die Frauen mochten ihn. Er hatte eine sanfte, ritterliche, rücksichtsvolle Art und immer einen wehmütigen Unterton, den ich als Kind nicht verstand. Ich wusste bloß, dass es während meiner Kindheit und Jugend immer Frauen gab – die Frau eines Nachbarn oder eine, die im Distrikt zu Besuch war –, mit denen er zusammensaß und in diesem Ton redete, als läge die Zeit, in der sie sich da zu zweit aufhielten, auf einer ganz anderen, irgendwie weiteren und feiner gefügten Daseinsebene als das alltägliche Leben und als würden sie sich dort zu ihrem niemals in Worte gefassten Vergnügen wiedererkennen. Mrs. Taylor kam nicht lange zu uns – sie zog irgendwohin um. Viele Leute zogen damals ständig im Land umher, von einer Farm zur andern, in die Stadt oder nach Norden – das heißt nach Njassaland oder
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