Unter der Haut (German Edition)
konnte, was im Busch – nur ein paar Schritte entfernt am Steilhang – los war. Ich kämpfte mit meiner Mutter darum, die Tür offen lassen zu dürfen. »Schlangen«, rief sie, »Skorpione … Mücken … nein, das erlaube ich nicht!« Aber ich ließ die Tür offen, weil ich wusste, dass ich unter dem Moskitonetz sicher war. Außerdem schluckten wir die ganze Regenzeit hindurch Chinin. Schlangen kamen wirklich ins Haus, und mehr als einmal musste meine Mutter eine erschießen. Tatsächlich bin ich in einer der schlangenreichsten Gegenden der Erde aufgewachsen. Alle waren giftig, einige tödlich. Ich bin jahrelang mit bloßen Beinen, oft auch barfuß, durch den Wald gelaufen und nie gebissen worden. Sie haben eindeutig mehr Angst vor uns als wir vor ihnen. Ich werde nie vergessen, wie uns ständig eingeschärft wurde, auf Schlangen achtzugeben. Pass auf, wo du hintrittst, fass nie einen Zweig an, ohne hinzugucken, klettere nie unvorsichtig auf einen Baum, Puffottern liegen gern auf heißen Wegen und Straßen und sind langsam … pass auf, pass auf, pass auf. Aber meine Angst galt den Insekten, den vielen unterschiedlichen Krabbeltieren in allen Größen, schwarz und mit Hörnern oder schlank und zappelig und lästig, Spinnen, die einem in über Nacht gesponnenen Netzen vor der Nase hingen, in den
veldschoen
lauerten, einen aus Erdlöchern beobachteten, wenn man sich zum Pinkeln hinhockte. Es ist ein Beispiel für die Irrationalität des Menschen, dass ich rückblickend voll Bewunderung, ja Zuneigung an die tödlichen, aber wunderschönen Schlangen denke, während ich mich bei der Erinnerung an harmlose Insekten schüttele.
Aber im Bett lag ich unter dem Moskitonetz, mir konnte nichts passieren.
Morgens wachte ich auf, weil es hell wurde und mir die Sonne warm ins Gesicht schien. Ich kontrollierte das Netz auf Spinnen und Käfer hin, sprang auf und knotete es zusammen, da es tagsüber nicht gebraucht wurde. Ich warf mich auf den Rücken und blieb ausgestreckt auf den Decken liegen, um mich den vielen herrlichen Gerüchen in dem Zimmer hinzugeben. Da war zunächst mein Körper, jeder Teil mit seinem eigenen, wohlig vertrauten Geruch. Das Stroh im Dach duftete feucht süß oder strohtrocken, je nachdem, ob es geregnet hatte. Das Kreosot, mit dem die Balken gestrichen waren, roch kräftig nach Teer, wie Seife. Aus dem Linoleum, das schon die ersten Löcher hatte, stiegen ölige Gerüche auf, schwach wie der Geruch des Wachstuchs auf dem Waschtisch. Im Emailleeimer unter dem Waschtisch war manchmal Pipi, aber ich lernte bald, mich mit dem Eimer hinauszuschleichen und seinen Inhalt den Hügel hinunterzuschütten, wo er gelb aufschäumte, versickerte und fast augenblicklich trocknete. Die Zahnpasta roch frisch und kräftig. Meine Schuhe –
veldschoen –
rochen nach Leder, wie die Felldecken, die
karosses.
Aber auf meinem Bett wollte ich nie so eine Decke haben, denn sie waren den Tieren zu ähnlich, von denen sie stammten, und ihr strenger Geruch erinnerte mich an Mrs. Scott, und an ihr Haus wollte ich nie wieder denken.
Ich hörte, wie der »Boy« meinen Eltern den Tee brachte, wusste, dass sie aufstanden, und sprang flink in die Kleider, um mich nicht mit Gezeter anziehen lassen zu müssen. Ich trug Baumwollhöschen, ein Baumwollkleid, zuweilen aus besticktem Mehlsackstoff, und ein Liberty-Leibchen. Der
Army & Navy Catalogue
regelte unser Leben wie das aller Mittelstandskinder in den Kolonien. Wohlerzogene Kinder trugen Liberty-Leibchen mit Ösen für die Hosenträger und die Strümpfe, die man bei kaltem Wetter anzog. Wenn man sie ohne Strümpfe trug, rutschten sie hoch und hinterließen rote Abdrücke auf dem Bauch. Eines Tages verkündete ich, dass ich von nun an keine Leibchen mehr anziehen würde, nie mehr. Und gewann den Kampf gleich für meinen Bruder mit. Er trug immer noch die enge Leibbinde, die verhindern sollte, dass man sich die Leber verkühlte, gegen die ich mich schon längst erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte. Wir sollten Baumwollhüte tragen, mit rotem Aertex-Futter und roten Aertex-Stofflappen, die uns über den Rücken hingen, um uns vor der Sonne zu schützen. Aber nein, nein, nein, ich wollte nicht. »Keiner hat einen Hut auf!«, schrie ich – und es stimmte, die Farmer und ihre Frauen trugen keine Kopfbedeckung, die Frauen höchstens zu gesellschaftlichen Anlässen. Die Appelle meiner Mutter blieben ungehört: Du holst dir den Tod ohne Leibbinde, kriegst eine schlechte Haltung ohne
Weitere Kostenlose Bücher