Unter der Haut (German Edition)
Aber die konnte er nicht meinen: Tröpfchen sind keine Spalten. Ich liege da, überlege, lese, denke … Die Königsaffen müssen viel größer sein als die kleinen Buschbabys, die wir kennen. Wenn sie die Apfelsinen pellen, hält ihr Fell die herben Saftspritzer von ihrer Haut ab. Dieser herbe Saft steckt in den Poren der Apfelsinenschale. Eine Frau, die uns besucht, hat großporige Haut im Gesicht und am Hals, und ich betrachte heimlich die Poren, in denen Wasser zu stehen scheint. Wenn man sie abpellte, würde es dann spritzen …? »Was guckt das Kind denn so?« »Doris, was guckst du da? Das tut man nicht.« Ich drehe mich um, laufe fort, setze mich weiter unten am Hügel unter einen Busch, reiße ein Blatt ab, sehe mir die Adern an und die Poren dazwischen. Ich zerreiße das Blatt, kriege aber keine streng riechenden Spritzer ins Gesicht oder auf die Hände. Auf dem Busch sitzt ein Chamäleon. Ich schaue zu, wie es mit langsamen, schaukelnden Bewegungen einen Zweig hinaufklettert. Und dann mit einem Mal … Ich renne schreiend zu meiner Mutter, die neben meinem Vater in ihrem Liegestuhl sitzt und die Aussicht auf den Busch genießt. »Was hast du denn?« »Mami, Mami …« »Ja, was ist denn los?« »Das Chamäleon«, weine ich, außer mir vor Angst, »das Chamäleon …« »Welches Chamäleon?« »Es hat sich übergeben und seine Innereien sind rausgekommen.« Ich laufe wieder hinunter, meine Mutter und mein kleiner Bruder hinterher. Das Chamäleon sitzt still ein Stückchen weiter oben auf dem Zweig, sein Blick flitzt umher.
Ich stehe unter Schock, es ist wie im Traum, ich habe gesehen, wie das Chamäleon den Mund aufmachte … Da passiert es wieder, und ich schreie. »Schhh …«, sagt meine Mutter und nimmt mich fest in den Arm. »Es ist alles gut. Es fängt Fliegen, siehst du das?« Mich schaudert es vor Angst und Entsetzen – aber auch vor Neugier. Ich stehe sicher in ihrem festen Griff. »Warte mal«, sagt sie. Die keulenartige Zunge des Chamäleons schießt hervor, eine dicke fleischige Wurzel, und verschwindet wieder. »Hast du gesehen?«, sagt meine Mutter. »Auf diese Weise ernährt es sich nur.« Ich breche schluchzend zusammen, und sie trägt mich zum Haus hinauf. Aber ich habe gelernt, wie ein Erwachsener zu sehen; wenn ich ein Chamäleon sehe, werde ich von nun an wissen, dass es seine riesige, dicke Zunge hervorschießen lässt, aber richtig sehen werde ich es nie wieder, nie wieder wie beim ersten Mal.
1992 stand ich ein paar Wochen nach den ersten Regenfällen in Banket an einem Mafutibaum, einem großen. Der Mafuti ist ein solider Baum mit dunkelgrünen, farnförmigen Blättern und einem dicken, stabilen Stamm. Er hat nichts Extravagantes. Doch an seiner Wurzel war ein Auswuchs wie ein Meerestier oder ein Korallengebilde, aus dem die zarten, leuchtend grünen Krallenfinger neuer Blätter hervorschauten, und die waren wie grüner Samt. Man käme nie darauf, dass sie mit den schlichten Blättern über ihnen etwas gemein hätten. Und plötzlich musste ich daran denken, wie ich als Kind schreiend ins Haus gelaufen bin, weil ein Ungeheuer dem Baum zu Leibe rückte; es war ein Käfer von der Größe einer Katze.
Ich wache nachts auf. Überall um mich herum, über mir raschelt und krabbelt es. Ich stütze mich erschrocken auf meinen Ellbogen, spähe vorsichtig durch das Weiß des Moskitonetzes nach oben. Mein Herz pocht, aber das Rascheln ist lauter. Das Fensterquadrat wird hell, einmal, zweimal. Warte, ist das ein Auto, das den Hügel heraufkommt, die Scheinwerfer …? Nein, das Elternzimmer ist dunkel, sie sind im Bett, zu spät für ein Auto. Es ist, als flüsterte das Strohdach. Plötzlich, als ich begreife, was los ist, nehme ich das Quaken der Frösche und Kröten unten im
vlei
wahr. Es regnet. Was ich gehört habe, ist das trockene Stroh, das sich mit Wasser vollsaugt, und das Jubilieren der Frösche über den Regen. Da ich es begreife, ist alles um mich herum wieder an seinem rechten Platz, das Stroh auf dem Dach saugt sich mit Himmelsnass voll, die Frösche, die so laut sind, als wären sie direkt am Fuß des Hügels, sind in Wirklichkeit aber ein paar Meilen entfernt, das sanfte Plätschern des Regens auf der Erde und den Blättern, und die Blitze, noch weit in der Ferne. Und dann, um die Ordnung der Nacht zu bestätigen, kracht plötzlich ein lauter Donner. Ich lege mich zufrieden unter mein Netz zurück, lausche und sinke langsam in einen Schlaf voller Regengeräusche.
Oder
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