Unter der Haut (German Edition)
dein Liberty-Leibchen, einen Sonnenstich ohne Hut mit rotem Futter. Mit den Hüten scheinen meine Mutter und der
Army & Navy Catalogue
allerdings recht gehabt zu haben. Kürzlich ( 1992 ) habe ich einen Hautspezialisten in London aufgesucht, der mir erzählte, den größten Teil seines Einkommens beziehe er von Sonnenanbetern aus Australien, Südafrika und Simbabwe.
So früh ich konnte, hatte ich angefangen, mich morgens selber anzuziehen, während mein kleiner Bruder, der jetzt bald sechs war, sich noch ankleiden ließ. Er galt als anfällig, hatte oft Bronchitis und musste dann im Bett mit einem Handtuch über dem Kopf inhalieren. Der Schüssel mit heißem Wasser entströmte der Geruch von Teebeeren und ätherischen Ölen. Es dauerte noch zwei Jahre, bis er sich weigerte, auf den Namen Baby zu hören und wie ein stets kränkelndes Kind behandelt zu werden.
Wenn ich in das Elternschlafzimmer kam, schnallte mein Vater gerade sein Holzbein mit den schweren Lederriemen und der Vertiefung für seinen Stumpf an; meine Mutter im geblümten Seidenmorgenmantel von Harrods war dabei, Baby anzuziehen. Die Liberty-Vorhänge hatten noch frische Farben. Die weiß gekalkten Wände blitzten. Das Stroh im Dach war gelb und roch neu. Der leicht verwohnte Zustand, in den das Haus schließlich versank, stellte sich erst Jahre später ein.
Wir frühstückten in dem Zimmer mit der Aussicht über den Busch, der sich bis zu den Ayreshire Hills erstreckte. Mutter in ihrem frischen Baumwollkleid, Vater in seinem Farmkaki, die beiden gesunden kleinen Kinder. Es gab ein großes englisches Frühstück, Haferbrei, Schinkenspeck, Eier, Würstchen, geröstetes Brot, gebratene Tomaten, Toast, Butter, Orangenmarmelade, Tee. Papayas, wenn sie reif waren, und Apfelsinen.
Dass wir genug aßen, war die Hauptsorge meiner Mutter.
Rückblickend kann ich kaum glauben, wie viel wir alle gegessen haben. Und wenn ein bisschen schleimiges Eiweiß oder ein angebranntes Eckchen Toast übrig blieb, verlangte mein Vater sorgenvoll, dass wir an die verhungernden Kinder in Indien denken sollten. Falls irgendwo in Afrika Kinder hungerten oder unten im
compound
, den wir vom Fenster aus sehen konnten, dann hatten wir das sicher nicht zu verantworten.
Doch eines der Probleme dieser Aufzeichnungen besteht gerade darin, die widersprüchlichen Einstellungen der Weißen gegenüber den Schwarzen darzustellen. Meine Mutter machte sich schon Sorgen über die schlechte Ernährung der Farmarbeiter und versuchte, sie dazu zu bringen, Gemüse aus unserem Garten zu essen, indem sie ihnen Vorträge über Vitamine hielt. Sie wollten aber keinen Kohl, Salat, Spinat und keine Tomaten essen – die heute bei allen Schwarzen auf dem Speiseplan stehen. Sie pflückten Gewürze im Busch, Blätter von verschiedenen Bäumen, und sie brauten einmal die Woche Bier, das bekanntermaßen voll von wertvollen Nährstoffen war. Aber es wurde nur ein Ochse im Monat für sie geschlachtet. Sie ernährten sich im Wesentlichen von dem damals üblichen Maisbrei, einem grobkörnigen gelben wundervollen Polenta-ähnlichen Zeug, und von Erdnüssen und Bohnen. Heute fände ihre Diät den Beifall der Ernährungswissenschaftler, aber damals galt sie als schlecht, weil sie so wenig Fleisch enthielt.
Aus dieser Zeit habe ich eine kleine, deutliche Erinnerung, und ähnliche Vorfälle haben sich im Laufe meiner Kindheit ein paarmal wiederholt. Mein Bruder, oder ich kann es auch selbst gewesen sein, rief, wie wir das bei anderen gesehen hatten, nach dem Hausboy und verlangte, dass er uns die Schuhe bringen solle – die im selben Zimmer lagen. Mein Vater bekam einen Tobsuchtsanfall, etwas für ihn ausgesprochen Ungewöhnliches. Er fragte meine Mutter, wie sie es wagen könne, uns Kinder so verkommen zu lassen, wie sie es wagen könne, uns zu erlauben, einen ausgewachsenen Mann »Boy« zu rufen. War es ihr etwa egal, ob wir verwöhnt und verweichlicht wurden, weil wir uns bedienen ließen? Das würde es bei ihm nicht geben. Bei ihm nicht.
Normalerweise erließ mein Vater keine Gesetze. Aber in dieser Frage blieb er hart. Meine ganze Kindheit hindurch versuchte er, mehr traurig als wütend, meiner Mutter klarzumachen, wie albern es sei, von einem Mann, der gerade erst eine Hütte im Busch verlassen habe, zu erwarten, dass er einsehe, wie wichtig es sei, dass die Silberbestecke in genau der richtigen Reihenfolge um die Teller angeordnet seien, oder dass er begreife, wie die Bürsten und Spiegel auf der
Weitere Kostenlose Bücher