Unter der Haut (German Edition)
Frisierkommode zu arrangieren seien. Denn die Stimme meiner Mutter hatte schon sehr früh den schrillen Ton der Verzweiflung angenommen, den Ton der weißen »Missus«, die sich selbst und ihre Familie ganz an den bürgerlichen Maßstäben in der Heimat orientierte. »Lieber Gott, meine Gute«, drängte er, wobei seine Stimme angesichts ihrer verzweifelten, zornigen Miene sanfter wurde. »Verstehst du das denn nicht? Es ist einfach lächerlich.« »Aber dazu sind sie doch da, oder?«
Nach dem Frühstück zog ich mich häufig wieder in mein Zimmer zurück, um zu lesen. Oder ich ließ mir von meiner Mutter etwas beibringen. Irgendetwas. Ihre wunderbaren Unterrichtsstunden waren zwar aufgegeben worden, als wir in die Schule kamen, aber sie ließ nie eine Gelegenheit zu einer Lektion ungenutzt, und heute bin ich ihr dankbar und wünschte, ich könnte es ihr sagen.
Mein Bruder zog immer mit meinem Vater in die Felder hinunter, und häufig ging ich mit. Mein Vater setzte sich auf einen Baumstamm oder einen dicken Stein und schaute den »Boys« zu, wie sie Unkraut jäteten oder Maiskolben pflückten oder Erdnuss- pflanzen aus dem Boden zogen oder den großen, platten Sonnenblumen voller glänzender, schwarzer Körner die Köpfe abschnitten. Die meisten trugen irgendwelche Lumpen, viele ein Lendentuch oder vielleicht ein zerschlissenes Unterhemd und Shorts, in denen die Risse häufig mit rosa Zwischenrindenfasern vom Musasabaum geflickt waren. Beim Hacken unterhielten sie sich, lachten und machten Witze, und wenn sie die Erdnüsse mit langen Stöcken aus ihren Schalen droschen oder die Sonnenblumenköpfe zerschlugen, dass es Samen hagelte, sangen sie manchmal. Wenn sich der Bossboy Old Smoke zu meinem Vater setzte, wobei seine beiden jungen Gehilfen stets respektvoll hinter ihm blieben, konnte es sein, dass ihr Gespräch den halben Vormittag dauerte. Denn wenn sie mit den
mombies
fertig waren, mit den Aussichten auf Regen, mit der Notwendigkeit eines neuen Rinderkraals oder eines Grabens, um das Wasser aus dem
compound
abzuleiten, mit den Unzulänglichkeiten des neuen holländischen Verwalters – der allerdings nur kurze Zeit blieb, weil die Afrikaner ihn so hassten –, dann philosophierten sie. Im afrikanischen Tempo, langsame Sätze, mit langen Pausen, unterbrochen durch »Yes …« und von Smoke mit »… Ja …«. Dann der nächste langsame Wortwechsel, ein »Ja …« von Old Smoke. »Ja, so ist es« von meinem Vater. Smoke saß entweder auch auf einem Baumstamm, oder er setzte sich in die Hocke und legte einen Unterarm über die Knie, um das Gleichgewicht zu halten – wenn mein Bruder und ich es nachmachten, fielen wir um, wir hatten bereits europäisch steife Gliedmaßen. Mein Vater saß mit ausgestrecktem Holzbein da, den alten Hut gegen das grelle Licht tief ins Gesicht gezogen. Sie redeten über das Leben und über den Tod und häufig auch über den Big Boss Pezulu (den Großen Boss oben im Himmel oder Gott) und seinen mutmaßlichen Willen.
Unterdessen beobachteten mein Bruder und ich Vögel, Chamäleons, Eidechsen, Termiten, bauten kleine Häuser aus Gras oder rannten über Termitenhügel, wobei wir häufig eine Antilope aufschreckten, die in der Mittagshitze unter einem Busch ausruhte.
Stunden vergingen. Jahre … Eine Flasche mit lauwarmem, gesüßtem Tee wurde hervorgeholt, und Kuchen, Kekse, Buttergebäck. Old Smoke aß und trank mit uns. Weitere Stunden vergingen – Jahre. Dann ertönte oben vom Haus her der Gong. Die Männer, die seit sechs oder sieben Uhr bei der Arbeit waren, hatten eine Stunde Mittagspause, von zwölf bis eins. Als Gong diente die Pflugschar, auf die mit einem dicken Wagenbolzen geschlagen wurde. Dann fuhren wir zum Haus hinauf, wo meine Mutter den ganzen Vormittag gearbeitet hatte. Meistens nähte sie, Sachen für ihren Mann, ihre Kinder, sich selber – sie war immer adrett gekleidet. Oder sie kochte ein. Sie machte Marmelade, weckte Obst ein, entwickelte ein Rezept für kandierte Früchte aus dem Fleisch der Flaschenkürbisse, die als Viehfutter dienten, füllte reihenweise Benzinkanister mit süßem, mit Ingwer versetztem Wasser, aus dem sich Dutzende Flaschen Ingwerbier gewinnen ließen. Und wie alle Farmersfrauen erfand sie Gerichte aus Mais, der damals noch
mealie
hieß. Da wir alle arm waren oder zumindest an allen Ecken sparen mussten, setzten die Frauen ihren ganzen Stolz darein, möglichst viel aus dem zu machen, was sie selber anbauten. Erst als ich nach
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