Unter der Haut (German Edition)
sinken.
Tauben gurrten im großen
vlei
, wo Hunderte von ihnen lebten, und dieser einschläfernde Klang überlagerte alle anderen Geräusche.
Der Gong war bereits ertönt, es würde bald Mittagessen geben. Wir spazierten zum Haus zurück, um uns herum sangen die Vögel, die Telefondrähte summten.
Gegen Ende der fünfziger Jahre wurde ich von der BBC um ein Hörspiel gebeten, und ich machte den Vorschlag, eins zu schreiben, das die Geräuschewelt des Buschs – der Farm, des Bahnhofs in Banket – zum Ausgang nahm. Die Eisenbahngeräusche sollten den Hintergrund abgeben, einen Rahmen für die Geschichte, das Rangieren, das Schnaufen, die langen, schrillen Pfeiftöne zur Begrüßung und zum Abschied, das Kreischen der Bremsen. Die Wagen fuhren quietschend in den Bahnhof ein, die Ochsen warteten geduldig, muhten durstig und wurden paarweise ausgespannt, um an die Tröge bei den Tanks geführt zu werden, wo ihnen das Wasser von den Mäulern tropfte und spritzte. Von der Veranda des Ladens der Dardagans und aus dem Kaffernladen hörte man die Klänge der
mbira
und, zuweilen, das blecherne aufziehbare Grammofon, auf dem Caruso
Die Wolgaschiffer
oder den
Einmarsch der Toreadors
sang. Die Geschichte sollte mittels und durch Geräusche erzählt werden, sie sollte von Leuten handeln, für die die Eisenbahngeräusche Nachrichten aus der Außenwelt waren, für die die Geräusche der Farm und des Bahnhofs das Leben selbst waren. Ständig werden Ideen für Radiosendungen, Geschichten, Stücke geboren und verworfen. Bei dieser tut es mir leid. Wir könnten jetzt eine Aufzeichnung von Geräuschen des Afrika besitzen, das es nicht mehr gibt.
Kapitel Acht
Sehr weit, bis lange vor den Zeitpunkt, an dem mein Gedächtnis einsetzt, reichen zwei Stränge oder Motive zurück, die meine Kindheit beherrschten.
Da war zum einen die Welt der Träume, in der ich schon immer zu Hause war. Bis ich etwa zehn wurde, waren es zum größten Teil Albträume. Das ist bei kleinen Kindern nichts Ungewöhnliches. Aber ich verfügte über einige Rituale, um sie zu vermeiden oder zu verharmlosen. Ich hatte gemerkt, dass ein Albtraum häufig den Keim von etwas Alltäglichem in sich birgt, ein Wort, einen Satz, ein Geräusch, einen Geruch. Wenn man es zuließ, dass sich dieses Reizmoment ungeprüft in den Schlaf einschlich, war man ihm ausgeliefert. Aber es war möglich, diese Feinde zu entwaffnen. Jeden Abend vor dem Einschlafen ließ ich alle potenziell albtraumträchtigen Ereignisse des Tages Revue passieren. Ich spielte emotionsgeladene Erlebnisse so oft im Kopf durch, bis sie mir völlig harmlos vorkamen. Ich glaube, mit dieser Technik macht man Menschen, die Angst vor Spinnen oder Schlangen haben, mit ihren Gefühlen vertraut. Bisweilen kamen Spinnen in meinen schlimmen Träumen vor, aber sie waren ja auch Teil meines Lebens, immer und überall. Ich schrie immer nach meinem Vater, wenn mir ein schwarzes gehörntes Ungeheuer Angst machte oder eine große, blassgrau gesprenkelte Raubspinne reglos in der Ecke hockte. Ich war sicher, dass ich sie für ein Stück Gips halten sollte, damit sie mich dann in einem unbeobachteten Moment anspringen konnte. Mein Vater war immer gleich zur Stelle, verlangte allerdings stets murrend, dass ich nicht so kindisch sein solle. Spinnen und Schlangen waren jedoch gar nicht so schlimm. Am bedrohlichsten war mein Vater, und ich wusste auch, warum. Es lag am »Kitzeln« von früher. In meinen Träumen drückten und quetschten mir Riesenhände die Rippen ein, und ich schrie und wand mich, und über mir schwebten drohend brutale Gesichter, nicht unbedingt das Gesicht meines Vaters, denn der Träumemacher nutzte für seine Zwecke auch alles alte Material – das Gesicht von Mr. Larter oder das von Mr. Macdonald, der hinter der nächsten Hügelkette wohnte. Ich hatte auch einen Traum von einer Fallgrube, die ich mit keiner Erinnerung verbinden kann, und von einem Jungen mit einem Stock. Die anderen Albträume glichen denen, die alle haben: die Treppe, die zur Rutsche wird, sodass man wieder unten landet, oder die plötzlich mitten in der Luft endet, sodass man ins Leere tritt – für diesen Traum boten die riesigen, steinernen Stufen zum Schlafsaal der kleinen Mädchen den Stoff.
Aber es sind nicht die Geschichten – die Handlungen – dieser Träume, die ich interessant finde, sondern meine Methode, sie ungefährlich und harmlos zu machen, indem ich die Ereignisse eines Tages ein ums andere Mal durchspielte und
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