Unter der Haut (German Edition)
mich vor der peinlichen Erinnerung, dass ich vor so kurzer Zeit noch um Liebe gebettelt hatte.
Und jetzt lagen Monate vor mir, bis die Oberschule beginnen würde, Monate im Busch und auf der Farm – in denen ich jeden Tag etwas Neues dazulernte.
Am liebsten kümmerte ich mich um die Bruthennen. Mir wurde erklärt, dass ich nur die größten Eier nehmen dürfe, wie ich sie an einem sicheren Platz in eine Kiste mit Stroh legen und warten müsse, bis eine Henne brütig wurde. Bei warmem Wetter fand sich fast täglich eine. Aber man konnte eine Henne auch mit einem kleinen Löffel Sherry zum Brüten locken. Wenn die Henne dann so weit war, begab sie sich in das Nest und setzte die Krallen behutsam zwischen die Eier. Sie tauchte den Schnabel in das Wassergefäß, das in einer Ecke der Kiste stand. Dann plusterte sie sich auf und wollte sogleich jedem, der zu neugierig war, in die Hand hacken. Mehrmals am Tag schaute ich nach ihr: Hatte sie noch Wasser, wirkte sie zufrieden? Wie verging die Zeit für eine Henne, die Tag und Nacht mit bösen Augen wachsam im Nest hockte? Einmal am Tag wurde sie von den Eiern gehoben, wobei sie aufgeregt gackerte, man ermunterte sie, hingeworfene Körner aufzupicken und sich die Beine zu vertreten, und wischte ihr große Klumpen Hühnerdreck vom gefiederten Hinterteil. Unterdessen besprenkelte ich die Eier mit lauwarmem Wasser, damit die Küken sie leichter aufhacken konnten. Die Henne kam schnell wieder angelaufen und hackte nach mir. Und so ging es Tag für Tag, und die Eier wurden immer schwerer in der Hand. Wenn sie die Eier wendete, rollte sie von Zeit zu Zeit ein schlechtes Ei mit dem Schnabel an den Nestrand, das nahm ich dann fort und warf es in den Busch, wo es mit dem dumpfen Knall eines faulen Eis platzte. Vierzehn Eier, fünfzehn Eier unter den großen Rhode-Island-Hennen, und noch mehr unter einer schwarzen Australorp-Henne, die unter ihrem daunigen Bauch für alle Eier Platz zu haben schien, die man ihr unterschob. Manchmal hörte man hinter dem Haus aufgeregtes Gackern, und wenn ich hinlief, war einer der Hunde den Hennen zu nahe gekommen, oder es saß ein Habicht oben im Baum. Es kam vor, dass sich eine Ratte in der Dunkelheit anschlich, manchmal sogar eine Schlange. Einmal lag eine Henne tot da, und die Eier waren kalt und überall verstreut. Eine Schlange hatte zwei oder drei mitgenommen. Aber die Hunde, die die ganze Nacht umherstreiften, und die Katzen, die über alles Bescheid zu wissen schienen, was auf dem Hof vor sich ging, bildeten ein gutes Warnsystem.
Und dann, nach achtzehn, neunzehn, zwanzig Tagen, saß ich mit einem heißen Ei in beiden Händen da und schaute nach, ob ich einen Sprung entdecken konnte, oder hielt es mir ans Ohr. Ich konnte hören, wie sich das Küken drehte, und dann erschien der winzige Knick in der Schale und vergrößerte sich zu einem kleinen Stern, und in dem Loch zeigte sich der Schnabel des Kükens mit seiner blassen, harten Spitze. Alsbald zerfiel das Ei in zwei Hälften, und heraus purzelte das jämmerlich hässliche kleine Küken, einer Eidechse ähnlich – das schiefe Köpfchen, die großen, unbeholfenen Krallenfüße –, aber binnen weniger Minuten war es getrocknet und süß, wie es sich gehört, und kuschelte sich in das äußere Federkleid seiner Mutter, piep, piep, während unter der Henne die noch unausgeschlüpften Küken in ihren Schalen herumpurzelten und polterten. Süß blieb das Küken nur etwa einen Tag lang, denn in den darauffolgenden Wochen, in denen es heranwuchs, war es lang und dünn mit einem ungleichmäßigen Federkleid, aber dann entwickelte es sich zu einem hübschen Tier, wie seine Mutter, dem ein Leben mit Eierlegen und Brüten bevorstand oder, wenn es ein Hahn war, ein weniger gutes Leben, denn die meisten endeten bald im Kochtopf. Selbst für eine große Hühnerschar waren nur ein paar Hähne nötig.
Was ich dabei lernte, war, die präzise Zeitplanung der Natur zu erkennen. Wenn die Entwicklung unterbrochen wurde, wenn die Eier aus irgendeinem Grunde kalt wurden, war es aus, dann gab es keine Küken, nur faule Eier: Es mussten drei Wochen sein, es mussten einundzwanzig Tage sein. Wie beim Kuchenbacken hing alles von der richtigen Zeit ab.
Äußerst exakte, geheimnisvolle Zeitpläne regelten das Dasein der vielen Lebewesen ringsum im Busch. Jeden Abend bald nach Sonnenuntergang kam eine Motte aus der Dunkelheit zum Haus und setzte sich an den Fliegendraht eines Fensters. Ich tauchte meinen Finger
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