Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
Kriminalhauptmeister mit, weil er beobachtet hatte, dass dieser sich von Prados Verbalgepolter ein wenig eingeschüchtert fühlte.
Leng mochte Brenner. Er gehörte zu den Jüngsten im Team. Er war ehrgeizig, aber nicht rücksichtslos, ehrlich, aber nicht unterwürfig, klug, aber nicht überheblich. Er besaß ein gut geschnittenes Gesicht mit einer prägnanten, leicht gebogenen Nase, die ihm zusammen mit dem braunen Haar und den dunklen Augen ein fast arabisches Aussehen verlieh. Der fein gestutzte Oberlippenbart ließ ihn wie ein Relikt aus den späten Siebzigern des letzten Jahrhunderts wirken, einer Zeit, zu der er noch gar nicht auf der Welt war.
„Also geht die ganze Vernehmungsscheiße jetzt von vorne los.“ Prado wirkte nicht begeistert angesichts der Tatsache, schon wieder die beiden Burghausens vernehmen zu müssen.
„Für 14.00 Uhr ist eine Teambesprechung angesetzt.“ Leng schien nicht besonders erpicht darauf zu sein, wenn man sein Gesicht als zuverlässigen Gradmesser betrachtete. Auch die anderen würden nur widerwillig kommen, denn es gab keinen, der die unprofessionelle Art des Dezernatsleiters schätzte, die er mit zuweilen unsinnigen Anordnungen zu kaschieren versuchte. Seine Koordinationsfähigkeit ging eindeutig gegen Null, seine analytischen Einschätzungen waren katastrophal und seine Menschenführung geradezu grotesk. Dafür kümmerte er sich umso mehr um das äußere Er-scheinungsbild seiner Beamten und deren Auftreten in der Öffentlichkeit. Trotz aller Anstrengungen war es ihm bisher allerdings nicht gelungen, eine von ihm selbst ernannte Kleiderordnung durchzusetzen, die Freizeitjacken und Jeans aus dem Präsidium verbannen sollte. Auch ließen sich so gestandene Leute wie Leng und Prado, die auf eine lang-jährige, erfolgreiche Tätigkeit bei der Kriminalpolizei mit einer gerade sensationell hohen Aufklärungsquote zurückblicken konnten, keine Anleitungen geben von einem um einige Jahre jüngeren Klugschwätze r, der nicht wegen seiner außerordentlichen Qualifikation die Karriereleiter nach oben gestiegen, sondern dank seiner guten Verbindung zu Kölner Ratspolitikern und der Mitgliedschaft im richtigen Karnevalsverein, gleich oben abgelegt worden war.
Carl Windkerk ließ seine Mannschaft warten. Er ließ sie immer einige Minuten warten, um damit seine Wichtigkeit zu unterstreichen und allen vor Augen zu führen, wie knapp seine Zeit bemessen war. Sein Spitzname Charles Lindbergh, der ganz ähnlich klang wie sein tatsächlicher Name, spiegelte nur allzu deutlich seinen Beliebtheitsgrad wieder. Wie der amerikanische Flugpionier verstand sich auch Windkerk exzellent darauf, günstige Winde zu seinem Vorteil zu nutzen und sein Fähnchen in den Wind zu hängen.
Das Team wurde allmählich unruhig, als der Dezernatsleiter mit zwanzigminütiger Verspätung und ohne ein Wort der Entschuldigung endlich den Raum betrat. Er wirkte wie immer hölzern und unkonzentriert, worüber auch die blank polierten, schwarzen Lederschuhe und der blaue Nadelstreifenanzug nicht hinwegtäuschen konnten. Auch die niederländischen Wurzeln schienen bei ihm keine Spuren hinterlassen zu haben. Jedenfalls keine positiven. Unkonventionalität und Liberalität, zwei Eigenschaften, die den Einwohnern unseres Nachbarlandes so oft nachgesagt wurden, ließen sich bei ihm nicht ausmachen, sodass einige Kollegen schon vermuteten, sein Vater, der viele Jahre als Kapitän zur See gefahren war, müsse ihn wohl von irgendwoher mitgebracht haben.
„Meine Damen und Herren“, begann Windkerk erhaben, wobei sich seine Lippen wie ein Fischmaul formten und die Stirn an ein Waschbrett erinnerte. „Wir haben es einmal mehr mit einem äußerst schwierigen Fall zu tun.“ Er griff gerne auf diese Standardfloskel zurück, wenn er befürchtete, ein Fall könnte nicht schnell genug gelöst werden und er deswegen ins Kreuzfeuer der Medien geraten. „Ich beziehe mich auf den Mord an Dr. Walter Burghausen“, sagte er überflüssigerweise, weil alle Anwesenden wussten, welcher Fall zur Debatte stand. „Ich würde mir eine rasche Aufklärung wünschen, denn schließlich war der Ermordete ein angesehener Bürger dieser Stadt, dem ich einige Male persönlich begegnet bin.“
Er machte eine Pause, d ie wohl den Versammelten die Gelegenheit geben sollte, seine bedeutungsvollen Sätze angemessen zu würdigen.
„Inzwischen haben wir es mit einem weiteren Mordfall zu tun. Bei flüchtiger Betrachtung könnte man durchaus zu der Ansicht
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