Unter die Haut: Roman (German Edition)
deutlich vor ihr. Die Kleidung, die er trug, erweckte den Eindruck, dass in seinem Körper zwei verschiedene Männer hausten, was im Grunde genommen nicht so verwunderlich war, schließlich führte er sich ja auch die halbe Zeit wie jemand mit einer gespaltenen Persönlichkeit auf. Von der Taille aufwärts war er tadellos gekleidet: gestärktes weißes Hemd, ordentlich geknotete Krawatte, gut geschnittenes Jackett. Sie fragte sich, ob das etwas damit zu tun hatte, dass sich dieser Teil seines Körpers näher bei seinem Gehirn befand. Weil das, was er von der Taille abwärts anhatte, nämlich eher der animalischen Vitalität zu entsprechen schien, die er momentan ausstrahlte. Er trug enge, verwaschene Jeans und Nike-Turnschuhe.
Als sie ihr Stockwerk erreicht hatten und die Türen langsam auseinander glitten, stieß sich Vincent von der Wand ab und kam auf sie zu. Ivy drehte den Kopf so abrupt in seine Richtung, dass sich eine Strähne ihres glatten Haars aus dem ordentlichen Zopf, den sie bei der Arbeit trug, löste und ihr über die Wange fiel. Einige Haare blieben an ihrem Mundwinkel hängen.
Vincent griff an ihr vorbei und drückte auf den Knopf, der die Türen offen hielt. »Wie heißen Sie mit Vornamen?«, fragte er mit leiser Stimme, während er seine Hand ausstreckte, um ihr die schimmernde Strähne aus dem Gesicht zu streichen.
Sie musste sich über die Lippen lecken, die ihr plötzlich vollkommen ausgetrocknet vorkamen. »Ivy.«
Vincent rieb mit dem Daumen über die Haare, die er um seinen Zeigefinger gewickelt hatte. »Also, Ivy Pennington, M.D.«, sagte er und trat noch einen Schritt näher auf sie zu. »Da Sie heute Nacht in nachsichtiger Stimmung zu sein scheinen, wie wär’s, wenn Sie meine Entschuldigung wegen der hässlichen Dinge annehmen, die ich über Sie und Ihre Freunde gesagt habe …«
Ivy spürte ihr Herz wie wild hämmern, als sie zu ihm hochsah. Verdammt, D’Ambruzzi, dachte sie mit einem Anflug von Verzweiflung, fang nicht ausgerechnet jetzt an, nett zu werden. »Das waren meine Cousins und Cousinen«, verbesserte sie ihn.
Vincent zuckte zusammen. »… dann eben über Sie und Ihre Cousins und Cousinen. Das war wahrscheinlich unangebracht.«
Wahrscheinlich. Was sollte das denn heißen? Ach, egal, wen interessiert das schon, nimm seine Entschuldigung an, und dann nichts wie raus hier! Mein Gott, sie hielt diese Spannung nicht mehr aus, noch nie im Leben hatte sie das Gefühl gehabt, so von Sinnen zu sein.
Und doch …
»Wahrscheinlich?« Sie trat einen Schritt zurück und reckte angriffslustig das Kinn in die Höhe. »Sie beschuldigen mich, eine Orgie zu veranstalten, und dann meinen Sie, dass das wahrscheinlich unangebracht war?« Sie war dankbar für den Ärger, den sie empfand. Er half ihr zumindest ein wenig, ihre Selbstbeherrschung zurückzugewinnen. »Tut mir Leid, D’Ambruzzi, aber das reicht nicht. Da müssen Sie sich schon etwas Besseres einfallen lassen.«
Vincents Kopf fuhr zurück, als hätte sie ihm ins Gesicht gespuckt. Seit er in ihren Wagen gestiegen war, hatte er stärker unter Strom gestanden als eine Hochspannungsleitung. Dass sie sich rundweg weigerte, seine aufrichtig gemeinte, wenn auch unbeholfen vorgebrachte Entschuldigung zu akzeptieren, ließ ihn unwillkürlich zum Angriff übergehen. Er sah wütend auf sie hinunter. »Was zum Teufel erwarten Sie denn, was man denkt, wenn sie jeden Fremden, der an Ihre Tür klopft, mit einer Schüssel voller Kondome begrüßen?«
»Das war ein Scherz! Meine Familie hielt das für ein witziges Einweihungsgeschenk! Aber Sie haben sich ja nicht die Mühe gemacht zu fragen, oder? Oh nein, doch nicht Detective Besserwisser!« Ihre Augen funkelten leuchtend grün unter den gesenkten Wimpern hervor. »Ohne auch nur das Geringste über mich zu wissen, haben Sie daraus sofort den Schluss gezogen, dass ich … dass wir …« Sie stieß ungeduldig die Luft aus. »Ach, vergessen wir’s einfach, okay? Ich bin nicht in der richtigen Stimmung für so was.« Ihre gewohnten Manieren außer Acht lassend, drängte sie sich an ihm vorbei. »Ich bin müde und ich will ins Bett. Gute Nacht!«
Ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, rauschte sie wütend davon, um nur noch wütender zu werden, als sie es nicht gleich schaffte, den Schlüssel ins Schloss ihrer Wohnungstür zu stecken, weil ihre Hand so zitterte.
Du lieber Gott, und sie hatte gedacht, sie hätte es in der Vergangenheit mit genug Schwachköpfen zu tun gehabt. Verglichen mit
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