Unter die Haut: Roman (German Edition)
hatte eine Art an sich, die alle seine Vorbehalte zum Verstummen bringen konnte.
Aber jetzt stand ihr Mund still, und er hatte begonnen sich unbehaglich zu fühlen, kaum dass er gespürt hatte, wie ihr Körper auf ihm schwer geworden war, ein Zeichen, dass sie schlief. Seine Hände hatten allmählich aufgehört, sie zu streicheln, und schon bald wurde er von heftigen Zweifeln geplagt. Es hatte nicht lange gedauert, und er hatte sich gefragt, ob das, was er da eben getan hatte, klug gewesen war.
Er neigte nicht dazu, impulsiv zu handeln, und die wenigen Male, die er es dennoch getan hatte, hatte er es hinterher fast immer bereut. Würde sich das hier ebenfalls als Riesenfehler erweisen? Es hatte nicht den Anschein gehabt, bis sie eingeschlafen war und damit seinen Zweifeln die Chance gegeben hatte, die Oberhand über ihn zu gewinnen. Andererseits, wenn es um Frauen ging, hatte er ohnehin nicht besonders viel Zutrauen zu seinem Urteilsvermögen.
Wahrscheinlich war es am besten, wenn er machte, dass er wegkam. Nein, nicht wahrscheinlich – es war tatsächlich am besten. Verdammt noch mal, vermutlich bauschte er das Ganze sowieso viel zu sehr auf. Der einzige Grund, warum sie etwas Besonderes zu sein schien, war der, dass es über drei Jahre her war, seit er mit einer Frau geschlafen hatte. Höchstwahrscheinlich wäre es ihm bei jeder Frau so gegangen.
Ach ja? , fragte eine skeptische Stimme, die aus irgendeinem merkwürdigen Grund genau wie die von Keith klang. Du hattest immer wieder die Gelegenheit , flüsterte sie in seinem Kopf. Also warum ist sie die Einzige, die es geschafft hat, dich von deinem Zölibat abzubringen, auf das du so verdammt stolz bist?
Ich hatte vorher noch nie eine große Rothaarige , parierte sein gut trainierter Rechtfertigungsmechanismus. Ich konnte die Gelegenheit doch nicht verstreichen lassen, ohne herauszufinden, wie das ist.
Aha.
Verdammt noch mal, was soll das? Es hat Spaß gemacht mit ihr, okay? Aber jetzt ist es vorbei, also lass mich in Ruhe!
Na prima, Alter. Mir kann’s egal sein.
Er musste sich durch den Haufen ihrer achtlos auf den Fußboden geworfenen Kleidung wühlen, um seine Krawatte und seinen zweiten Schuh zu finden. Lieber Himmel, für eine Ärztin war sie ganz schön schlampig. Nachdem er seinen Turnschuh aufgespürt hatte, zog er ihn an und schnürte ihn zu, dann setzte er die Suche nach seiner Krawatte fort. Sie lag auf einem Slip aus Satin und Spitze, und er schnappte sie sich und band sie sich um. Anschlie ßend stand er einfach nur da und starrte auf Ivy hinunter.
Worauf wartest du denn noch? Du wolltest so schnell wie möglich von hier verschwinden, schon vergessen? Also beweg deinen Hintern.
Stattdessen beugte er sich über das Bett und strich Ivy die Haare aus dem Gesicht. Ein leichtes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, und sie murmelte im Schlaf irgendetwas vor sich hin und streckte sich seiner Hand entgegen wie eine Katze, die gestreichelt werden will. Vincent zog seine Hand zurück, als hätte er sich verbrannt, dann, sorgsam darauf bedacht, Ivy nicht noch einmal zu berühren, griff er nach dem Laken und deckte sie damit zu. Nachdem er einen letzten Blick auf sie geworfen hatte, straffte er die Schultern und verließ das Zimmer.
Kaum aber hatte er die Tür hinter sich zugezogen, überkamen ihn erneut Zweifel. Vielleicht …?
Nein. Er dachte an sein bisheriges Liebesleben, schüttelte den Kopf und drehte sich von der Tür weg. Weggehen war nicht nur das Klügste, was er tun konnte, es war auch das Einzige.
4
»Du hast mit ihm geschlafen? Ivy, hast du den Verstand verloren?«
»Wahrscheinlich.« Ivy krümmte sich innerlich, als sie Jaz’ ungläubige Miene sah. Warum konnte sie auch nicht die Klappe halten? Ivy hatte nicht die Absicht gehabt, auch nur ein Wort über die Ereignisse der vergangenen Nacht verlauten zu lassen, als Jaz und Sherry unten geklingelt hatten und zu ihr hochkommen wollten. Aber Vincents Bartstoppeln hatten gerötete Spuren um ihren Mund und an ihrem Hals hinterlassen, und das Erste, was Sherry gesagt hatte, als sie durch die Tür gefegt kam, war: »Wer ist denn deine neue Kosmetikerin, Ive, Susie Reibeisen?«, und da war die Wahrheit irgendwie aus ihr herausgesprudelt. In Anbetracht von Jaz’ erster Reaktion hatte es vermutlich keinen Sinn zu erklären, dass sie letzte Nacht gar nicht mitbekommen hatte, wie rau seine Bartstoppeln waren.
»Ivy, wie konntest du nur mit diesem Kerl ins Bett gehen?«
»Soll das ein Witz
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