Unter die Haut: Roman (German Edition)
Nicht weinen.« Voller Schuldgefühle, weil er so misstrauisch gewesen war, und verwirrt, weil sie so plötzlich die Fassung verloren hatte, drückte er ihren Kopf wieder an seine Brust und umfing sie schützend. Er streichelte ihr über den Rücken und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Nichts wird passieren, weil wir es erst gar nicht so weit kommen lassen werden. Alles wird gut, Ivy«, versprach er ihr. »Ich werde diesen Mistkerl finden und dafür sorgen, dass er dir nichts tun kann. Alles wird gut werden.«
Aber noch lange nachdem Ivy in seinen Armen erschöpft eingeschlafen war, lag Vincent wach und fragte sich, wie in aller Welt er dieses Versprechen halten sollte.
12
Beim Aufwachen stellte Ivy fest, dass sie auf Vincent D’Ambruzzis Brust lag. Sie strich sich die Haare aus den Augen, zog ihr Bein aus der warmen Höhle zwischen seinen Oberschenkeln und stützte sich auf einem Ellbogen auf, um ihn anzusehen. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, verzog sich ihr Mund zu einem leichten Lächeln.
Armer Kerl. Für einen Mann, der nur an ihrem Körper interessiert war, hatte er zweifellos eine sehr merkwürdige Art, das zu zeigen.
Er war vollständig bekleidet gewesen, als sie vergangene Nacht oder heute Morgen oder wann auch immer über ihn hergefallen war. Und das war er noch. Er hatte seine Waffe abgelegt – das Holster mit der Pistole lag am Kopfende der Matratze – und sich mit einem Arm aus seinem zerrissenen Hemd gewunden. Sein anderer Arm, mit dem er sie selbst im Schlaf die ganze Zeit gehalten hatte, steckte jedoch immer noch im Hemdärmel, und das Hemd selbst hatte sich unter seinem Rücken verknüllt. Er hatte es zwar geschafft, die Schuhe abzustreifen, aber seine Füße steckten in Socken, und er hatte auch noch seine Hose an, obwohl er den Bund geöffnet hatte, um es sich etwas bequemer zu machen. Alles in allem konnte er keine sehr angenehme Nacht hinter sich haben.
Für einen Mann, der behauptete, er wolle nur das eine, nahm er ganz schön viel auf sich. Grinsend wandte sie sich von ihm ab und hätte beinahe laut gelacht, als er protestierend ihren Namen murmelte und sich sein Arm einen kurzen Moment lang fester um sie legte, bevor er sie losließ. Sie war sich beinahe sicher, dass er tiefere Gefühle für sie hegte, als er zuzugeben bereit war.
Das wollte sie ihm aber auch geraten haben. Immerhin war sie im Begriff, ihren Stolz aufs Spiel zu setzen. Sie kramte ihre Zahnbürste aus ihrem Koffer, ging durch den Flur ins Badezimmer und schloss leise die Tür hinter sich. Dann schaltete sie die Deckenlampe ein und drehte sich zum Waschbecken.
Während sie sich die Zähne putzte, beugte sie sich näher zum Spiegel und betrachtete das verschlungene Muster, das die Haare auf Vincents Brust auf ihrer Wange hinterlassen hatten. Sie spuckte den Schaum ins Waschbecken, spülte ihren Mund aus, schlang sich ein Handtuch um die Haare und griff nach Vincents Duschlotion. Ein wenig Schadensbegrenzung war nötig, und das war das Einzige, was verfügbar war.
Als sie kurze Zeit später ihr tropfendes Gesicht im Spiegel betrachtete, wurde ihr bewusst, was sie eigentlich antrieb. Vielleicht sollte sie sich einen Augenblick Zeit nehmen, um noch einmal gründlich über das nachzudenken, was sie vorhatte. Schließlich hatte sie letzte Nacht versucht, ihn zu verführen, und man brauchte sich ja nur anzusehen, wie weit sie damit gekommen war. Vielleicht sollte sie …
Nein.
Sie wollte es, sie wollte es wirklich. Ihr war klar, dass es vieles gab, worüber sie reden mussten, aber das brauchte ja nicht auf der Stelle zu passieren. Der Zeitpunkt wäre bestimmt günstiger, nachdem er sie geliebt hatte. Ja, hinterher, wenn sie ihre Anspannung los war, wäre sie eher in der Lage, mit ihrer furchtbaren Situation umzugehen. Und wenn Vincent ihr letzten Endes das Herz brechen sollte – nun ja, dieses Risiko musste sie eben eingehen. Einer musste den ersten Schritt machen.
Irgendetwas nagte an Vincents Bewusstsein, drängte ihn aufzuwachen, aber er wehrte sich dagegen, er wollte nicht aufwachen, jedenfalls nicht bevor er diesen Traum, in dem er mit Ivy Sex hatte, zu Ende geträumt hatte. Niemand, der einigermaßen bei Verstand war, würde dem das Wachsein vorziehen, nicht, wenn Wachsein ein leeres Bett in einer leeren Wohnung bedeutete. Nicht, wenn es bedeutete, dass er, statt in den Genuss des besten aller feuchten Träume zu kommen, einmal mehr als einsamer Mann aufwachte, mit einem einsamen Morgenständer.
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