Unter feindlicher Flagge
Vorderdeck, gefolgt von Hobson. Beide richteten sie ihre Ferngläser aus. Einen Moment lang standen die Midshipmen reglos da, bis Wickham herumfuhr.
»Capitaine«, rief er. »C'est l'anglaise. La Themis.«
»Verdammter Mist«, murmelte Barthe düster. »Meuterer voraus und eine französische Fregatte in Sichtweite - bestimmt nicht unterbemannt. Jetzt geraten wir in ihr Feuer.« Der Master machte keinen Hehl aus seiner Sorge und fuhr sich durchs Haar.
Hayden lief zu den Midshipmen. »Sind Sie sicher, Mr Wickham?«
»Ja, Sir. Der Nebel lichtete sich einen Augenblick, und da konnte ich sie genau sehen. Das ist unser Schiff, Kapitän. Ich kenne es.«
Hayden richtete sein Fernglas auf die fragliche Fregatte. Der Nebel hüllte sie noch ein, aber schließlich konnte Hayden sehen, wie die französischen Signalflaggen hochstiegen. Eine Kanone wurde abgefeuert, weitere Signale folgten, waren jedoch im dämmrigen Licht kaum auszumachen.
»Nun, sie sind nicht so töricht, wie man vielleicht denkt«, stellte Hayden fest.
»Glauben Sie, dass sie die Franzosen täuschen können, Sir?«
»Schwer zu sagen.« Hayden blickte von der Themis zur französischen Fregatte. Die Lage hatte sich radikal geändert: zwei feindliche Schiffe, eines davon gewiss voll besetzt. Er überlegte, ob er nicht den dünner werdenden Nebel nutzen sollte, um sich davonzustehlen, doch dann musste er an Hart denken, der in seinem Zorn über die Verfolgung der Meuterer hilflos im Lazarett lag. Hart hätte bestimmt die Flucht ergriffen.
»Mr Wickham, wenn wir das Feuer auf die Themis eröffnen, glauben Sie, dass die Franzosen dann merken, dass wir Engländer in Verkleidung sind?«
Wickham ließ das Glas sinken und dachte angestrengt nach. »Bestimmt werden sie vermuten, dass eins der beiden Schiffe ein britisches ist. Was sollten sie sonst denken?«
Hayden kam eine Idee - eine Idee, die nicht ohne Risiken war. »Exakt«, murmelte er. Kurz zögerte er, was sonst gar nicht seine Art war, und wandte sich an die anderen Midshipmen. »Mr Hobson, laufen Sie zurück zum Quarterdeck und sagen Sie Mr Archer, er soll das Signal ›Verfolgung feindlichen Schiffes‹ setzen, wie auch immer der französische Ausdruck kodiert ist.«
»Mach ich, Sir.« Der junge Mann war schon losgelaufen.
Hayden stand da und versuchte, seine Atmung zu kontrollieren. Seine Entscheidung war kühn - und könnte sich schon bald als töricht erweisen.
Wickham schaute erneut durch sein Glas, doch Hayden hatte den Eindruck, dass bereits Ferngläser auf sie gerichtet waren.
»Ist das nicht ein zu gefährliches Spiel, Sir? Die Franzosen werden uns bestimmt zu Hilfe eilen.«
»Aber wenn wir die Themis angreifen - ohne ersichtlichen Grund - werden die Franzosen denken, dass der Verfolger Brite ist, und dann den Meuterern zu Hilfe eilen. In so einem Fall bleibt uns keine andere Wahl, als fortzusegeln und Bill Stuckey und seinen Gesellen den Weg freizumachen zum Hafen von Brest. Wenn die Meuterer allerdings sehen, dass sie von zwei französischen Schiffen bedrängt werden, streichen sie hoffentlich die Flagge - die falsche Flagge. Dann entern wir und erobern die Themis, ehe sie merken, dass wir die alten Schiffskameraden sind.«
»Aber was wollen wir dann tun, Sir? Das frage ich mich die ganze Zeit. Die Franzosen sind gewiss nicht unterbemannt. Was machen wir, wenn auch sie ein Enterkommando losschicken, um uns zu helfen?«
»Noch ist der Nebel ziemlich dicht. Wir werden uns davonstehlen müssen oder die Franzosen zumindest möglichst lange täuschen.«
Wickham zögerte, ließ sein Glas sinken und wandte sich Hayden zu. »Sie haben mehr Erfahrung als ich, Mr Hayden, und ein gutes Urteilsvermögen. Aber ich befürchte, dass die Franzosen unsere Tarnung durchschaut haben.« Sein Blick huschte zu seinem übergroßen Uniformrock. »Nicht alle würden für Franzosen gehalten wie Sie.«
Hayden sah, wie Archer eine Reihe Signalflaggen hisste. »Wir müssen auf Distanz zu dem Franzosen bleiben. Hoffen wir, dass der Kommandant gar nicht so erpicht darauf ist, uns zu helfen.«
Schweigend blickten sie hinaus aufs graue Meer. Die Themis - allmählich war Hayden mit Wickham einer Meinung, dass es nur die Meuterer sein konnten - fuhr unter Marssegeln. Auffallend wenig Segelfläche für ein Schiff Seiner Majestät, und vielleicht war das für einen scharfen Beobachter der einzige Anhaltspunkt, dass es kein Brite war, der Kurs auf Brest nahm - abgesehen von der falschen Flagge. Ihr Kurs war eindeutig,
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