Unter goldenen Schwingen
Augen.
»Es quält dich, dass ich deinetwegen traurig bin«, sagte er leise. »Aber so darf es nicht sein.«
Verstand er, was hier vor sich ging? Ich jedenfalls hatte das Gefühl, orientierungslos in einem endlosen Strudel zu treiben. »Bitte …« Ich blickte in sein schönes Gesicht, das jetzt wie versteinert wirkte. Meine Stimme war kaum noch zu hören. »Bitte … hör auf …«
Ein kurzer Moment verging, und obwohl er sich nicht bewegte, veränderte sich etwas in der Spannung seiner Mimik. Er öffnete die Augen und als er mich ansah, lag neben seiner Traurigkeit noch etwas anderes in seinem Blick ….
»Ich kann dir nichts abschlagen«, flüsterte er. »Ich werde deine Wünsche immer erfüllen. Um jeden Preis.«
Die Entschlossenheit in seiner Stimme erschreckte mich noch mehr als seine Worte.
Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite und blickte mir forschend in die Augen. »Ich habe dir Angst gemacht«, stellte er behutsam fest. »Das war nicht meine Absicht.«
Ich schüttelte den Kopf, doch noch bevor ich sprach, glühte bereits Verständnis in seinen Augen auf.
»Du hast keine Angst vor mir …«, murmelte er sanft, »sondern um mich.«
»Was geschieht hier?«, stieß ich mühsam hervor. »Wer bist du? Warum weißt du … all diese Dinge?«
Er schwieg. In seinen wunderschönen Augen tobte ein Orkan widersprüchlicher Gefühle.
»Was ist los mit mir? Warum fühle ich diese … Verbindung zu dir?« Ich deutete hilflos zwischen uns hin und her. Er sah mich wortlos an.
Ich kämpfte aufsteigende, heiße Tränen zurück. »In der Bibliothek … was waren diese … diese … Kreaturen ? Werde ich verrückt? Ich werde doch nicht verrückt, oder?« Eine Träne lief über meine Wange. »Warum tauchst du plötzlich auf … aus dem Nichts … warum rettest du mich, und verschwindest dann wieder?« Meine Stimme zitterte.
Er rührte sich nicht, war erstarrt wie eine Statue. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Du wirst nicht verrückt«, sagte er sanft. »Um dir das klar zu machen, bin ich noch hier.«
»Wa-was?«, fragte ich zittrig. »Wäre ich nicht kurz davor, meinen Verstand zu verlieren … wärst du dann gleich wieder verschwunden? So wie die anderen beiden Male, als du mich gerettet hast?« Mir blieb die Luft weg und ich krallte mich mit beiden Händen an einer Kirchenbank fest. »Nach allem, was passiert ist, kannst du mich nicht einfach hierher bringen und dann wieder verschwinden.«
Doch er schien jetzt beinahe amüsiert. Ich starrte ihn an. Vollkommen sprachlos.
»Ich fasse es nicht«, flüsterte ich schließlich. »Machst du dich über mich lustig?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Doch dein Ärger ist mir viel lieber als deine Angst.«
Ich schnappte nach Luft.
Und dann begriff ich, dass er meine Bitte erfüllt hatte. Seine Traurigkeit war verschwunden und mit ihr das Gefühl, das mir die Luft abgeschnürt hatte.
»Das war dein Wunsch«, sagte er leise, so als würde er auf meine Gedanken antworten. »Und ich stimme zu, es war viel zu viel Drama.«
Noch immer sprachlos, starrte ich ihn einfach an. Die Ehrlichkeit in seinen Worten war entwaffnend und seine umwerfenden Augen funkelten beinahe neckend. Sein schönes Gesicht war entspannt, und seine Haut … ich sah genauer hin … auf seiner Haut lag definitiv ein goldener Schimmer.
»Wieso hast du mich hierher gebracht?«, murmelte ich schließlich schwach.
»Geweihter Boden«, erklärte er gelassen. »Sie haben Schwierigkeiten damit.«
Ich brauchte einen Moment.
»Sie. Haben Schwierigkeiten. Mit geweihtem Boden. « Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Sie können Kirchen nicht so einfach betreten. Wir sind hier sicher, zumindest für eine Weile. Ich habe dich hier hergebracht, damit wir in Ruhe reden können. Du hast Recht, ich kann dich nicht einfach verlassen. Nicht nach dem, was gerade in der Bibliothek passiert ist.«
Ich zögerte. Die Frage, die ich ihm stellen wollte, machte mir plötzlich Angst. »Was genau … ist gerade passiert?«
»Willst du das wirklich wissen?« Seine Stimme klang eindringlich.
Ich spürte, wie sich mein Inneres bei dem Gedanken an die stinkenden, flüsternden, halbverwesten Kreaturen verkrampfte.
»Es wird die Grenzen deiner Welt sprengen«, flüsterte er. »Willst du real werden lassen, was in deiner Welt bis jetzt nicht existiert hat? Bist du sicher, dass du dafür bereit bist?«
Nein. Ganz und gar nicht. Ich verspürte den instinktiven Drang, davonzulaufen, so
Weitere Kostenlose Bücher