Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter goldenen Schwingen

Unter goldenen Schwingen

Titel: Unter goldenen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Luca
Vom Netzwerk:
Die Stille war erdrückend und beängstigend. Mich umgab eine verdorrte Ebene, die bis zum Horizont reichte. Vertrocknete Bäume reckten ihre nackten, knorrigen Äste in den blutroten Himmel.
    Langsam drehte ich mich im Kreis. Die Stille, die mich umgab, war so vollkommen, dass sie jedes Geräusch verschlang. Sogar die schale Luft schien tot zu sein. Ich war allein, das einzige lebendige Wesen in dieser Wüste.
    Und dann sah ich ihn. Weit entfernt erstrahlte sein Licht, golden und weiß. Er hob sich schimmernd ab von dem schwarzen Boden und dem roten Himmel, wie ein Leuchtturm, der mir Sicherheit versprach.
    Ich zwang meine Beine vorwärts, wurde schneller, und begann schließlich zu rennen. Über die harte Erde, vorbei an den schwarzen Bäumen, rannte ich mit brennenden Lungen auf ihn zu. Ich kam ihm näher und näher und ich wusste, wenn ich ihn erreichte, würde ich in Sicherheit sein.
    Ich musste ihn erreichen. Ich musste es schaffen. Ich zwang mich, weiterzurennen, immer weiter, bis ich schließlich seine Gestalt deutlich sehen konnte.
    In diesem Augenblick begriff ich, dass etwas nicht stimmte. Dass etwas auf eine entsetzliche Art nicht stimmte. Und plötzlich erkannte ich, was da vor mir hing.
    Es war, als bohrte sich eine eiskalte Klinge durch meinen Körper. Ich erstarrte. Mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meine Brust, und meine Lungen brannten wie Feuer. Meine Augen starrten unbarmherzig auf den grässlichen Anblick, der sich mir bot.
    Es war Nathaniel, der vor mir hing, in der Luft aufgespannt wie eine Marionette, gehalten von unsichtbaren Fäden. Seine herrlichen Flügel waren stumpf und matt, seine goldene Haut fahl und glanzlos. Auf seinen schönen Augen lag ein milchiger Schleier.
    Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag.
    Mein verwesender Engel.
    Unfähig, die Emotionen in mir zu bewältigen, stolperte ich rückwärts. Mein Herz setzte aus, als ich gegen etwas Großes stieß. In Panik wirbelte ich herum.
    Er hätte ein Engel sein können, doch mein Gefühl sagte mir, dass er etwas Düsteres, Schreckliches, Gefährliches war. Er war auf furchtbare Art schön, und strahlte so viel Grausamkeit aus, dass sich mein Inneres zusammenkrampfte.
    Seine mächtigen schwarzen Flügel reichten bis zum Erdboden und seine gesamte Gestalt schimmerte dunkel. Seine Augen waren so tiefrot, dass sie beinahe schwarz erschienen. Ihr Ausdruck war hart und gnadenlos.
    Für einen kurzen Augenblick starrte er mich an, reglos, und ich war unfähig, zu atmen. Dann, in einer einzigen Bewegung, spannte er seine mächtigen dunklen Flügel und sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze.
    Ich schrie, doch die tote Luft erstickte meinen Schrei. Panisch stolperte ich rückwärts, stürzte und fiel hart auf den steinigen Boden. Ich rappelte mich auf und kroch hastig über die trockene Erde, so weit wie möglich fort von ihm.
    »Sie versuchen alle, zu entkommen.« Seine Stimme klang leise und verführerisch. »Doch du kannst mir nicht entfliehen, Victoria.«
    Plötzlich kniete er neben mir auf der Erde, so nah, dass ich in meinem verzweifelten Fluchtversuch gegen seine Brust stieß. Erstarrt vor Angst blickte ich in sein Gesicht.
    Er war so schön wie ein Engel, doch auf furchtbare, angsteinflößende Art. Kaum sichtbar überzogen alte Narben seine Wangen und seine Haut schimmerte schwarz. Der grausame Zug um seine Lippen fesselte meinen Blick.
    »Ich kenne dich«, stieß ich hervor und starrte ihn mit angstgeweiteten Augen an. »Du warst … in meinem Traum …«
    »Nur weiter«, sagte der schwarze Engel, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen.
    »Im Friedhofsgarten«, murmelte ich zitternd. »Du warst hinter der Tür …«
    »Die du geöffnet hast.«
    »Nein!« Ich keuchte entsetzt und versuchte, zu fliehen.
    Er spannte mit einer kraftvollen Bewegung seinen schwarzen Flügel auf und versperrte mir den Weg. »Nicht so eilig«, sagte er leise. »Ich habe dich nicht umsonst hierher gebracht.«
    »Was willst du?«, flüsterte ich zitternd. »Wer bist du?«
    Er zwang mich mit seinem Flügel näher zu sich heran. Ich hatte keine Möglichkeit, auszubrechen, und kauerte bebend vor ihm.
    »Wer ich bin?« Er hob einen Finger und zeichnete nachdenklich meine Kieferlinie nach.
    Ich erschauderte bei seiner Berührung.
    »Man nennt mich Lazarus«, sagte er leise. »Und ich habe dich hergebracht, um dir das hier zu zeigen.« Er griff mein Kinn und zwang mich, Nathaniels verwesenden Körper anzusehen.
    Ich schloss die Augen, unfähig, den

Weitere Kostenlose Bücher