Unter Korsaren verschollen
mit einem Buch im Garten. Sie sieht die beiden »Maler« kommen.
»Nein, nein, Luigi, das gibt es nicht, sich über den Zaun verabschieden. Du hast Kindermädchen gespielt und schlägst einen Schluck Wein ab. Herein mit euch beiden Männern!«
»Roger kommt in Kürze nach Hause, Helene, er soll nicht auf mich warten müssen.«
»Braucht er nicht, aber du wirst durstig sein. Also, bitte.« Na ja, man kann es der lieben Freundin nicht ab-schlagen. Und, Zufall, das Abendbrot ist schon fertig.
Claudes Vater wird gleich erscheinen. Der Tisch ist bereits gedeckt. Parvisi kennt die Frauen, weiß, wie sie so etwas fein einfädeln. – Er ist ein Bettler. De la Vigne hat lange gedrängt, bis Luigi wenigstens einen kleinen Betrag angenommen hat. -
»Ich verstehe Sie, Herr Parvisi«, schließt Pierre-Charles die lange Unterhaltung an diesem vorgerückten Abend ab. »Was in meiner Macht steht, in meinem Können, wird getan, um Ihre Gattin und den Jungen aufzufinden und der Gewalt des Deys zu entziehen. Ich verhehle dabei nicht, daß ein solches Unterfangen das Leben kosten kann.«
»Nicht Sie, Herr de Vermont, sollen es tun. Um Ihren Rat bitte ich. Und«, Parvisi beißt sich auf die Lippen, blickt zu Boden, als er weiterspricht, »können Sie mir etwas Geld leihen, daß ich nach Algier fahren kann?«
»Was Sie brauchen, steht Ihnen sofort zur Verfügung.
Aber wir sprechen morgen ausführlich darüber.«
Die Vettern haben über der mitreißenden Schilderung des Kampfes der »Astra«, die ihnen Parvisi gegeben hatte, nicht mehr an die Briefeinlage gedacht. Jetzt, als sie auseinandergehen wollen, erinnert sich Roger.
»Ein Brief für Luigi ist doch gekommen! Ich hole ihn.«
»Richtig, mein Vater legte etwas für Sie bei.«
Mit zitternden Händen erbricht der Italiener das Siegel.
Die erste direkte Nachricht aus Europa für ihn. Was mag die Seite enthalten? Parvisi schlägt das doppelt gefaltete Blatt langsam auseinander. Ruhe, Ruhe! ermahnt er sich.
Er ist enttäuscht. Geschäftliches. Das Haus de Vermont räumt Signore Luigi Parvisi aus Genua unter dem Namen Jean Alphonse Meunier einen ersten Kredit von zehntausend Franken ein.
»Warum Jean Alphonse Meunier?« fragt Luigi, ohne zu bedenken, daß die beiden anderen den Inhalt des Schreibens nicht kennen.
»Darf ich? Ich weiß nicht, was Sie meinen«, fragt de Vermont.
»Bitte.« Parvisi reicht die Anweisung hinüber.
»Hm. Was bedeutet das? – Dieses Schreiben ist sofort zu vernichten, steht am Schluß. Die Kasse der Compagnie d’Afrique ist angewiesen, an Jean Alphonse Meunier, dessen Persönlichkeit von Pierre-Charles de Vermont oder Roger de la Vigne bezeugt wird, Gelder bis zu dem genannten Betrag auszuzahlen. – Mein Vater schreibt nichts ohne Sinn. Luigi Parvisi – Jean Alphonse Meunier. – Ein italienischer Name – ein französischer.«
Roger und Luigi folgen mit höchster Spannung den ab-gehackt kommenden Überlegungen Pierre-Charles’.
»Ah, ich verstehe meinen Vater. Napoleon hat abge-dankt, befindet sich auf Elba. Genua ist kein Teil Frankreichs mehr. So sind Sie, Signore Parvisi, auch staats-rechtlich wieder Italiener, Genuese. Ich zweifle nicht, daß der Dey die Lage ausnützen und genuesische Schiffe als vogelfrei für seine Korsaren ansehen wird. Meine Heimat, seit Jahrhunderten vertraglich mit den türkischen Machthabern Algiers verbunden, hat natürlich auch Pflichten den Barbaresken gegenüber zu erfüllen.
Das Haus de Vermont kann nicht gegen diese Abmachungen verstoßen, gleich gar nicht in der schwierigen Lage, in der sich unsere Compagnie d’Afrique zur Zeit befindet. England wartet nur darauf, uns die alten Vor-rechte gänzlich zu entwinden. Trotzdem, bei dem Umfang der Beziehungen unseres Hauses kann ein Fehler unterlaufen. Es war eben ein Irrtum, sollte sich einmal herausstellen, daß Jean Alphonse Meunier der Genuese Luigi Parvisi ist. Weder mein Vetter noch ich haben Monsieur Meunier früher gekannt; er ist uns nur wärm-stens empfohlen worden, und wir haben keinerlei Argwohn gehabt. Bedauerlich und entschuldbar ein solches Versehen. Finden Sie nicht, Herr Meunier?«
Die Freunde brechen in ein lautes Lachen aus.
»Fabelhaft! Ich werde mich bemühen, ein echter Jean Meunier zu sein. Helfen Sie beide dabei: du, Roger, und
– darf ich? – du, Pierre-Charles.«
»Gern, Luigi – Unsinn! – Jean!« Das Herumwerfen mit Vornamen löst große Heiterkeit aus.
»Zu betteln brauche ich nun nicht mehr. Es ist mir ein Stein vom
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