Unter Trümmern
aufsetzten, schief auf seinem Kopf. Und seine hellblonden Haare waren frisch geschnitten und mit einem Festiger in Form gebracht.
„Na denn, Siggi, viel Spaß und kommen Sie gesund zurück. Sie wissen ja, ich brauche Sie nicht nur als guten Fahrer.“
Der lachte und stieg in den Zug. Die beiden Männer warteten, bis der Junge seinen Kopf aus dem Abteilfenster streckte und ihnen aus dem abfahrenden Zug zuwinkte.
„Und wie verbringen wir unser Wochenende?“, fragte Koch.
„Was halten Sie davon, Koch, wenn Sie heute Abend mit zu mir nach Hause kommen? Meine Frau würde sich freuen Sie kennen zu lernen.“
„Nette Idee, Reuber, aber ich glaube, dass ich noch etwas kürzer treten muss. Die Woche hat mich angestrengt und Montag ist die Universitäts-Geschichte. Ich bin ganz froh über zwei Tage Ruhe.“
Reuber zuckte mit den Schultern. „Ihr Fehler, Koch. Sie wissen ja nicht, was Sie versäumen. Meine Frau ist eine phantastische Köchin.“
„Demnächst“, versprach Koch, bevor sie sich verabschiedeten.
Das Wochenende verbrachte er zunächst wie angekündigt in seiner Wohnung, las Heinrich Manns „Henri Quatre“ weiter, merkte aber bald, dass andere Gedanken ihn ablenkten.
Am Sonntag hielt Koch es nicht mehr in seiner Wohnung aus. Er machte sich zu Fuß auf den Weg in die Wallstraße, wo Glodkowski gemeldet war. Als er dort ankam, spürte er die Anstrengung und dass er noch lange nicht in der Form wie vor der Erkrankung war. Er versteckte sich hinter einem Busch gegenüber des Hauses, aber während der Stunde, die er dort verbrachte, ging weder jemand ein noch aus. Er verlor die Geduld und verließ seine Deckung. An der Tür suchte er nach Namensschildern, die nicht vorhanden waren. Koch überlegte nur kurz, schlüpfte ins Treppenhaus und schlich von Stockwerk zu Stockwerk, die, je weiter er nach oben stieg, einen immer heruntergekommeneren Eindruck machten. Es stank nach Urin, vermischt mit säuerlichem Essensgeruch. Koch atmete so flach wie möglich.
Im letzten Stock angekommen, suchte er kurz nach Hinweisen auf die Bewohner in den beiden Wohnungen. Aus Sorge entdeckt zu werden, eilte er so schnell wie möglich wieder nach unten, kam einmal falsch mit dem Fuß auf, was sein linker Oberschenkel gleich mit einem heftigen Schmerz quittierte. Die letzten Meter nach unten machte er langsam und lief im Erdgeschoss einem Mann in die Arme, der ihn kritisch ansah.
„Was machen Sie hier?“, fragte der unhöflich. Es klang mehr wie ein Befehl.
Koch, noch mit seinem schmerzenden linken Oberschenkel beschäftigt, antwortete nicht sofort.
„Von der Schmiere, oder?“ Der Mann, der einen kräftigen Eindruck machte, ging einen Schritt auf Koch zu.
„Schon gut!“, wiegelte der ab. „Ich suche einen Kriegskameraden. Naumann. Reinhold Naumann. Soll hier wohnen.“
„Hier gibt’s keinen Naumann“, stellte der andere kategorisch fest. „Mach, dass du Land gewinnst, sonst …“
Er hob seinen Arm.
Koch beschwichtigte. „Schon gut. Ich will keinem was Böses. Suche nur meinen Kameraden. Ich geh’ ja schon.“
„Das würde ich dir auch raten, Freundchen.“
Koch drehte sich um und verließ den Flur. In seinem Rücken spürte er die Blicke des Mannes. „Passt“, dachte er. „Glodkowski ist nicht der einzige Gauner, der hier wohnt.“
Obwohl ihn sein Bein weiter schmerzte, machte er sich auf den Weg nach Mombach. Vor der Halle, wo er den Mann zuletzt gesehen hatte, war das Tor verschlossen und er hatte auch nach längerem Beobachten nicht den Eindruck, dass sich ein Mensch darin befand.
Einen Moment war er versucht, die Kneipe aufzusuchen, in die Siggi Glodkowski, als er ihn und Hafner observierte, hatte hineingehen sehen. Aber er verwarf diesen Gedanken.
Auf dem Rückweg in die Zahlbach machte Koch die Erschöpfung mehr und mehr zu schaffen. Er hatte sich zu viel zugemutet. Dazu kamen die Schmerzen in seinem linken Oberschenkel. Er zog das Bein nach und kam nur langsam vorwärts. Am Bismarckplatz lehnte er sich an das Straßenbahnschild und wartete. Als die Bahn endlich angerumpelt kam, ließ er sich erschöpft auf einen Sitz fallen.
Er fürchtete, dass er einen Rückfall erlitt und legte sich zu Hause ins Bett. Er schlief sofort ein.
Den Montagvormittag brachte Koch mit Besprechungen wegen der Feierlichkeiten zur Wiedergründung der Mainzer Universität an diesem 22. Mai zu. Dabei traf er mehrmals Reuber, der ebenfalls dazu abgestellt war.
Während Reuber im Bereich des Doms, in dem Bischof Dr.
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