Unter Trümmern
mit rechten Dingen zugegangen ist und die Frau nicht nachgeholfen hat.“
„Ihren Sohn umzubringen?“
„Ja. Vielleicht, weil es ihr zu viel wurde, sie die Schreie nicht mehr ertragen hat.“
Neubert nahm einen Zettel aus seiner Tasche, auf dem ein Name und eine Adresse notiert waren und reichte ihn Koch. Der nahm ihn und blickte kurz darauf. „Dorothea Becker“, stand da in altdeutscher Schrift und ein Straßenname.
Er steckte den Zettel in seine Tasche.
„Prüfen Sie das bitte. Drei Wochen lang war es mucksmäuschenstill dort, wo der vorher ständig rumgeschrien hat. Dann erst hat sie den Tod ihres Sohnes gemeldet.“
Koch sagte nichts.
„Sie nehmen mich nicht ernst, was?“, ereiferte sich Neubert.
„Wir können nicht jeder Anschuldigung einfach so nachgehen. Sie glauben gar nicht, wie viele Leute in dieser Zeit ihre Nachbarn …“
„Wie bitte? Sie unterstellen mir, dass ich lüge? Wenn mir das früher passiert wäre! Ich warne Sie! Ich habe noch Kontakte, beste Kontakte. Wenn Sie der Sache nicht nachgehen, werde ich mich über Sie beschweren.“
Wortlos drehte Koch sich um und ging in Richtung Straßenbahn. Er ertrug diesen alten Mann nicht mehr, der offenbar den alten Zeiten nachhing und jetzt aus irgendwelchen Gründen seine Nachbarin denunzieren wollte. Vielleicht war er einfach scharf auf sie und sie ließ ihn nicht ran. Würde zu dem Kerl passen, überlegte Koch, aber sofort danach hatte er den Vorfall schon vergessen.
Am Abend bat Arnheim den Kommissar in sein Büro, in dem jetzt ein patiniertes, aber noch sehr schönes braunes Ledersofa Platz gefunden hatte. Arnheim erhob sich nicht, als sein Kommissar das Büro betrat. Vor ihm stand eine Tasse dampfender Kaffee. Koch roch gleich, dass es sich um echten Bohnenkaffee handelte. Arnheim machte keine Anstalten, ihm eine Tasse anzubieten.
Ohne Vorrede legte er los. Koch setzte sich ungefragt auf den Sessel auf der anderen Seite des Schreibtisches.
„Koch, ich habe immer noch keinen Bericht von Ihnen vorliegen. Was machen Sie eigentlich die ganze Zeit? Französisches Laissez-faire? Wir sind in Deutschland, da haben wir für solche Fisimatenten keine Zeit!“
Er hielt inne und trank einen Schluck von seinem Kaffee.
„Was soll ich mit Ihnen machen, Koch?“
Als er keine Antwort erhielt, redete er weiter. „Sie waren in Gonsenheim?“
Koch nickte.
„Ich habe Sie nicht verstanden!“
„Ja, ich war in Gonsenheim.“
„Darf ich, als Ihr Vorgesetzter, denn erfahren, was Sie da gemacht haben?“
„Ich wollte für den Bericht, den Sie angemahnt haben, noch fehlende Informationen einholen.“
„Und dafür brauchen Sie zwei, drei, vier Tage?“
„Der Bericht soll doch korrekt sein.“
Arnheim schien nachzudenken, ob er dem Kommissar diese Begründung abnehmen sollte.
„Gut“, sagte er schließlich und trank einen weiteren Schluck. „Gut. Sind Sie, bei Ihren Nachforschungen, heute, um genau zu sein, in Gonsenheim, von einem gewissen Richard Neubert angesprochen worden?“
Koch benötigte ein paar Sekunden. Er hatte den Mann schon völlig vergessen.
„Der war nicht sehr … wie soll ich das sagen, überzeugt von Ihrem Arbeitseifer. Nun, er hat gesagt, dass er nicht glaube, dass der Selbstmord des Sohns seiner Nachbarin einer war. Er glaubt, dass sie nachgeholfen hat.“
„Das hat er mir auch gesagt. Aber wenn Sie mich fragen, Herr Arnheim, der Mann ist ein Denunziant. Nachbarschaftsstreitereien, vielleicht hat sie ihn abgewiesen. Das passiert zurzeit doch ständig.“ Koch wunderte sich, wie schnell dieser Neubert Arnheim informiert hatte.
„Kann sein, Koch, kann sein. Trotzdem müssen wir dem nachgehen. Es soll uns keiner nachsagen, dass wir unsere Arbeit nicht machen. Gehen Sie zu der Dame und prüfen Sie das. Und schreiben Sie einen Bericht. Aber nicht in einem halben Jahr, sondern sofort.“
Damit schob er einen Zettel über den Tisch zu Koch herüber. Der nahm ihn, schaute kurz darauf. „Dorothea Becker“ und eine Straße in Gonsenheim. Neuberts Schrift, wie auf dem Zettel, den der Mann ihm auch gegeben hatte. Er war also persönlich hier bei Arnheim gewesen. Jetzt würde er der Sache doch nachgehen müssen.
„Ach, noch eines, Herr Arnheim“, fragte Koch, als er schon in der Tür zum Vorzimmer stand, „haben Sie Informationen von den Kollegen, wie da der Stand der Dinge in der Sache Brunner ist?“
„Koch, dort ist die Tür“, war Arnheims kurze Antwort.
XVI
Seit der Beerdigung war ein wenig Ruhe in Dorles
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