Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
Vom Netzwerk:
keinen Fall. Er hat … ja, Hajo, wir haben ihn im Lager nur Hajo gerufen, er hat gesagt, dass seine Frau eine sehr gottesfürchtige Frau … da braucht er keine Angst zu haben.“
    „Hat er gesagt, wann er …?“
    Bauer lachte sarkastisch auf.
    „Liebe Frau Becker, entschuldigen Sie, aber das entscheidet kein Kriegsgefangener“, sagte er plötzlich mit ungewohnter Schärfe. „Ich habe ja gesagt, dass das alles willkürlich ist. Ganz willkürlich. Wer arbeitet, wer zu essen bekommt, wer erschossen wird.“
    Dorle schwieg. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte.
    Bauer räusperte sich. Er sprach wieder ruhig wie zu Beginn. „Nein, nein, keine Sorge. Hajo arbeitet gut. Ihm wird nichts passieren.“ Wieder war seine Stimme belegt. „Wissen Sie, es ist so viel passiert, wir haben so viel zusammen erlebt, das schweißt zusammen. Wenn man den tausendfachen sinnlosen Tod gesehen hat und gemeinsam dem Tod entkommen ist, das schweißt zusammen … ich könnte Ihnen so viel erzählen.“
    Dorle hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen, weil sie diesem Mann, der extra einen Umweg gemacht hatte, um ihr Nachricht von Hans-Joachim zu bringen, nichts angeboten hatte. Helfe deinem Nächsten, hieß es doch, und wer war ihr in dem Moment nicht näher als dieser Mann, der mit ihrem Mann zusammen gelitten hatte, aber … nein, sie durfte jetzt nicht …
    „Brauchen Sie etwas?“ Die Worte fielen ihr nicht leicht.
    „Wenn ich mich bei Ihnen ein paar Tage ausruhen könnte … ich bin seit Tagen unterwegs … und der ganze Weg nach Mainz … ich habe es gerne gemacht, aber ich fühle mich jetzt doch schwach …“
    Dorle drehte sich zu Rolfs Grab, schloss kurz die Augen, bekreuzigte sich und wandte sich wieder dem Kriegskameraden ihres Mannes zu.
    „Kommen Sie! Sie können sich bei mir ausruhen!“
    Unterwegs sammelte sie Holz, wie sie es immer tat. Dorle sah Bauer an, hoffte, dass er ihr beim Tragen helfen würde, aber er machte keine Anstalten. Zu fragen traute sie sich nicht.
    In ihrem Haus ließ er seine Tasche auf den Boden und sich auf einen Küchenstuhl fallen.
    „Haben Sie Kaffee?“
    „Muckefuck. Gebrannte Eicheln“, antwortete Dorle.
    „Da ging’s uns im Lager ja besser“, erwiderte Bauer höhnisch und lächelte sie an. Dorle entging der Vorwurf in seinen Worten nicht.
    Während sie Wasser aufsetzte, sprang der Mann plötzlich auf und ging an ihr vorbei zur Anrichte.
    „Darf ich?“, fragte er und hatte sich schon eine Zigarette aus einer der beiden Packungen, die sie hinter eine Schale gelegt hatte, genommen.
    „Luckys, mein lieber Mann!“
    Er hielt die Schachtel mit dem ausgestreckten Arm vor sich.
    „Ich darf?!“
    Bauer wartete Dorles Antwort nicht ab, sondern riss sogleich die Schachtel auf, fingerte eine Zigarette heraus und zündete sie an.
    „Oh Mann“, stieß er zusammen mit dem Rauch nach dem ersten Zug aus. „Wie lange habe ich so was Gutes …“ Er lachte. „Nach dem Essen sollst du rauchen oder …“ Er lachte wieder, dieses Mal anzüglicher. „Wie die Zeiten sich geändert haben. Nichts ist mehr, wie es war.“
    Er setzte sich an den Tisch und wartete, bis Dorle den mit Ersatzkaffee gefüllten Becher vor ihn hingestellt hatte.
    Nach dem ersten Schluck verzog er angewidert seinen Mund. „So ne tolle Kippe und so ne Brühe. Geht gar nicht zusammen.“
    „Es gibt nichts anderes“, erwiderte Dorle.
    „Dorle“, rief er aus, bemerkte, was er gesagt hatte, hielt kurz inne, und lächelte. „Ich darf doch Dorle sagen? Ich meine, zu der Frau meines besten Kriegskameraden. Klingt doch komisch, Frau Becker. Ich bin der Herrmann. Ist einfacher so, jetzt, wo wir’s hier zusammen miteinander aushalten müssen.“ Er hatte so hastig und tief an seiner Zigarette gezogen, dass sie schon aufgeraucht war.
    „Nur ein paar Tage“, wandte Dorle ein und stellte ihm ein Tellerchen hin, in dem er die Kippe ausdrückte.
    „Ja, ja, das meine ich doch“, beschwichtigte Bauer gleich. Dabei sah er sich wieder so unruhig um wie auf dem Friedhof. „Aber mit den Zigaretten, die Sie da haben, Dorle, da können wir uns doch richtigen Kaffee leisten. Lassen Sie mich das machen.“
    Er stand auf, steckte die ungeöffnete Schachtel ein und entnahm der anderen eine neue Zigarette.
    „Wo kann ich denn schlafen?“
    Nun stand Dorle, die das alles sitzend beobachtet hatte, auf, ging zur Anrichte, nahm die angebrochene Zigarettenschachtel und ging in den Hof.
    „Dorle?!“, hörte sie Bauer rufen, aber sie

Weitere Kostenlose Bücher