Unter Trümmern
auf die Windschutzscheibe. Koch griff nach dem Hebel, um den Scheibenwischer zu bewegen. Das Glas verschmierte. Siggi beugte sich nach vorne, um besser sehen zu können. „Verdammtes Wetter!“, fluchte er. Koch erwiderte nichts.
Währenddessen kramte Bresson in seiner Tasche.
Sie fuhren am Ober-Olmer Wald und den Forsthäusern vorbei und als sie endlich Essenheim erreicht hatten, war es fast ein Uhr. Nur noch eine Stunde, wenn die Angaben, die sich Dorothea Becker bei dem Capitaine notiert hatte, richtig waren, überlegte Koch. Bis jetzt war es bei den Tropfen geblieben.
In Essenheim war die Ortsdurchfahrt wie in Bretzenheim blockiert. Ein Traktor, oder besser das, was von ihm übrig geblieben war, zog einen entwurzelten Baumstamm hinter sich her und das Ganze geschah so langsam, dass sich die Kinder einen Spaß daraus machten, auf den Stamm zu springen und sich ein paar Meter kutschieren zu lassen, abzuspringen, um erneut den Sprung auf den Baum zu wagen. Mehr als zwanzig Minuten dauerte das, während denen Koch immer unruhiger und unwilliger wurde.
„Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“, bellte er Siggi an.
„Ich kenne mich hier nicht aus“, gab der zurück. „Ich bin erst seit einem halben Jahr in Mainz.“
Als der Traktor endlich in einen Hof eingebogen war und die Straße freigegeben hatte, war es fast halb zwei.
Um aus dem kleinen Weinort zu kommen, mussten sie wieder einen Stich hinauffahren. Langsam, aber ohne Aussetzer, arbeitete sich das kleine Automobil die Anhöhe hinauf.
„Gute Arbeit!“, lobte Koch Siggi und dessen Mechanikerqualitäten. Er musste etwas sagen, um seine Nervosität zu bekämpfen. Im Hintergrund war das Grollen des herannahenden Gewitters zu hören.
Koch versuchte sich in Gedanken ein Bild von der Stelle zu machen, an der die Straße steil nach Stadecken hinabführte. Er war vor der Machtergreifung der Nazis mit seinem Vater öfters hier draußen gewesen, weil ein Kollege von ihm da wohnte. Aber diese Erinnerung war im Laufe der Jahre stark verblasst.
Der Himmel hatte sich inzwischen ganz zugezogen und eine unwirkliche und bedrohliche Dunkelheit lag über der Landschaft. Der Regen wurde stärker. Sie hatten die letzten Häuser des Ortes schon hinter sich gelassen, rechts und links breiteten sich Rebenfelder aus, da erkannten sie vor sich eine Absperrung. Eine weiß-rot gestrichene Latte, die auf zwei Holzböcken auflag, versperrte die Straße in ihrer ganzen Breite. Daneben stand ein Mann in französischer Uniform und forderte sie mit einer herrischen Handbewegung auf zu halten. Ein Citroën, der die Hoheitszeichen der französischen Armee trug, war am Straßenrand hinter der Absperrung abgestellt.
Siggi trat auf die Bremse und ließ den Wagen langsam bis zu dem Soldaten rollen.
„Was soll das denn?“, rief Koch aus.
„Bonjour“, grüßte der Soldat. Er klang missmutig, es schien ihm nicht zu gefallen, im Regen zu stehen. Das Donnern des Gewitters war schon zu hören.
„Bonjour, Monsieur“, erwiderte Siggi den Gruß durch das offene Seitenfenster.
„Vous devez retourner! La route est barrée. Transport du militaire.“
Koch stutzte. Dass das wie auswendig gelernt klang, mochte bei einem Armeeangehörigen angehen. Dass die Aussprache einen, wenn auch schwachen, deutschen Akzent aufwies, machte ihn allerdings hellhörig. Dafür hatte er zu lange in Frankreich gelebt.
Koch beugte sich ein Stück über Siggi. „J’ai une message très important pour Colonel Godard. “
Koch hatte bewusst einen kleinen Fehler eingebaut und in südfranzösischem Dialekt gesprochen.
„Comment?“, fragte der Mann in der Uniform zurück. Das Freundliche war aus seiner Stimme gewichen. Er wirkte unruhig. Koch beobachtete, dass er seine rechte Hand langsam zu seiner Waffe, die er in einem Holster am Gürtel trug, bewegte.
„J’ai une autorisation“, erklärte Koch und nahm einen Zettel, der in der kleinen Ablage vor ihm lag. „L’autorisation de passer devoient expliquer tout“.
Der Soldat streckte seine freie linke Hand in den Innenraum des Opels, um es entgegenzunehmen. Koch ließ das Papier fallen, packte die dargebotene Hand und zog den Arm mit aller Kraft zu sich. Der Kopf des Soldaten krachte gegen die Kante des Autodachs. Der Regen wurde jetzt heftiger und prasselte laut auf das nackte Blech.
„Los, Siggi, packen Sie ihn!“, befahl er seinem Assistenten, riss ein zweites Mal an dem Arm und ließ den Kopf nochmals gegen die Kante krachen.
Reuber reagierte
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