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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
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ihr den Ort des Streites an, eine willkommene Abwechslung in der Eintönigkeit der Tage.
    Sie konnte nicht verstehen, was da gerufen, gebrüllt und gedroht wurde. Beklemmung erfasste Dorle. Sie war schon immer, an der Kerb oder an Fastnacht, von diesem Gefühl erfasst worden, wenn die Männer sich nach entsprechendem Alkoholkonsum zu streiten und zu prügeln begannen.
    „Idiot“, hörte sie heraus, Schimpfworte und „Entschuldigung“.
    Trotz der Beklemmung musste sie dorthin schauen, machte sogar ein paar Schritte zu den Streitenden hin, stellte sich kurz auf die Zehenspitzen und konnte für einen kurzen Moment, als sich eine Lücke zwischen den Gaffern auftat, einen Blick auf die beiden Streitenden werfen. Und erschrak. Den einen der Männer hatte sie schon einmal gesehen. Sie brauchte nur einen kurzen Augenblick, um zu wissen, dass das bei Gerda in der Bäckerei gewesen war und dass dies der Kommissar war, der nach Peter gefragt hatte. War er ihr gefolgt? Beobachtete er sie? War die Polizei hinter ihr her? Aber warum prügelte sich dieser Polizist hier im Bahnhof? Die Fragen schwirrten ihr durch den Kopf und verwirrten sie. Einen Moment lang sah sie noch zu, drehte sich abrupt um und lief zum Ausgang, stieß eine alte Frau, die ein kleines Kind an der Hand führte, fast um, stolperte und war dann endlich draußen, in der Sonne, suchte Schutz hinter einer Gruppe Männer, die eng beieinander standen und die sie gleich neugierig betrachteten. Sie sah über die Männer hinweg zum Eingang, suchte den Kommissar, ob der ihr gefolgt war. Aber nein, er war ja in diesen Streit verwickelt.
    „Was haste denn, Mädchen? Können wir dir helfen?“
    Einer der Männer, mit einem ausgeleierten, grauen Anzug, grinste sie an.
    Sie schüttelte den Kopf.
    „So viele hübsche Kerle, da kann man schon irr werden.“
    Alle lachten.
    Dorle verschränkte ihre Arme vor der Brust und lief weg, rannte über den Platz, stieß einen Mann mit Krücken um, hörte in ihrem Rücken das Lachen der Männer, hatte das Ende des Platzes erreicht, verlangsamte ihre Schritte und ging an den Straßenbahnschienen entlang, sich dabei immer wieder umschauend. Niemand folgte ihr. Keiner von den Polizisten, auch nicht dieser Kommissar.
    Sie lief an den Schienen entlang, in der Mitte der Straße, da, wo früher einmal Bäume gestanden hatten. Die wenigen, die die Bombenabwürfe überlebt hatten, waren nach dem Krieg dem Bedarf nach Brennholz zum Opfer gefallen. Und während Dorle den Bahnhof immer weiter hinter sich ließ, glaubte sie plötzlich den Kommissar zu riechen. Den Geruch dieses Mannes, als sie auf ihm gelegen hatte, in der Bäckerei, als sie mit ihm zusammengestoßen war. Das hatte sie sehr wohl bemerkt. Und sein Geruch. Der war ihr geblieben. Sie war so verwirrt, dass sie fast über eine freigelegte Wurzel gestolpert wäre.
    Irgendwann erreichte sie die nächste Haltestelle. Dort lehnte sie sich an einen astlosen Baumstamm und atmete durch. Gegenüber waren die Frauen damit beschäftigt, Schutt aus einem halb eingefallenen Haus auf einen Hänger zu tragen. In dieses Bild schob sich das des Polizisten, und was sie verwirrte, war, dass sie in dem gleichen Moment, in dem sie fürchtete, dem Mann zu begegnen, sich dieses Zusammentreffen auch wünschte.
    Die Straßenbahn nach Gonsenheim war überfüllt. Dorle quetschte sich in eine kleine Lücke zwischen zwei Frauen und einem alten Mann gleich neben dem Einstieg. Sie kannte die Leute aus Gonsenheim, hatte sie schon in der Kirche gesehen. Sie grüßte mit einem kurzen Nicken ihres Kopfes, machte sich so schmal wie möglich und starrte aus dem Fenster. Sie hatte kein Bedürfnis nach Unterhaltung und nach Berichten von dem Elend, in dem sie alle steckten, aber das, was sie miteinander sprachen, konnte sie nicht überhören.
    „Ich habe gehört, dass die Polizei jetzt eine Spur hat …“, sagte der Mann und eine der beiden Frauen fragte dazwischen: „War es nicht ein durchreisender Soldat? Oder so ein Pole, aus den Lagern? Ich dachte, das wäre geklärt.“
    Der Mann senkte seine Stimme, dennoch konnte Dorle ihn sehr genau verstehen. Das Rumpeln der langsam zockelnden Straßenbahn konnte seine Worte nicht vollends übertönen.
    „Jemand aus dem Ort soll es gewesen sein, heißt es.“
    „Das kann doch nicht sein. Das glaube ich nicht“, sagte die zweite Frau, die bislang stumm geblieben war. „Jemand aus unserem Ort? Wer sollte denn so was machen?“
    „Eine alte Rechnung vielleicht“, mutmaßte

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