Unterdruck: Ein Dirk-Pitt-Roman (German Edition)
und ihre Finger und Ohren wurden allmählich taub.
Aber das Schlimmste war die fast absolute Stille. Zusammengekauert auf dem umgedrehten Sitz hockend, konnte sie nur den Schlag ihres Herzens und das gelegentliche Zischen und Gurgeln ihres eigenen Atems im Atemregler hören. Während ihr Geist be gann, ihre verschiedenen Ängste zu katalogisieren, rückte das Atmen an die erste Stelle der Liste. Ihr Atemluftverbrauch war in dieser Tiefe wesentlich höher als an der Wasseroberfläche. Die Flasche enthielt vielleicht nur für wenige Minuten Luft. Aber wenn sie nicht vollständig gefüllt worden war? Eine teuflische Stimme in ihrem Kopf fragte bei jedem Atemzug aus der Flasche, ob es nicht ihr letzter sein könnte.
Krampfhaft schloss sie die Augen und versuchte sich zu entspannen. Dabei dehnte sie den zeitlichen Abstand zwischen den einzelnen Atemzügen so weit wie möglich aus und zwang sich zu einem ruhigen und regelmäßigen Atemrhythmus. Als sie spürte, wie ihre Herzfrequenz allmählich langsamer wurde, schlug sie die Augen auf. Aber sie musste feststellen, dass sie noch immer von vollständiger Schwärze umgeben war. Niemals anfällig für klaustrophobische Reaktionen, konnte sie nichts dagegen tun, dass sie sich so vorkam, als sei sie in einem besonders dunklen und engen Schrank eingeschlossen.
Allmählich fragte sie sich, ob ihr Bruder es sich anders überlegt hatte und längst zur Wasseroberfläche aufstieg – dann gewahrte sie einen matten Lichtschein außerhalb der U-Boot-Kabine. Das Licht wurde heller, bis sie den Lichtstrahl der Taschenlampe ausmachen konnte, als er stetig näher kam. Obgleich es ihr so vorkam, als wäre er für Stunden fort gewesen, waren in Wirklichkeit nur ein paar Minuten vergangen.
Als Dirk eine Sekunde später durch die Luke hereinkam, sah sie, dass er einen ein Meter fünfzig langen Stahlstab mit einer dicken Kugel an dem einen Ende in der Hand hatte. Es war der abgeknickte Flaggenmast vom Schiffswrack. Das Tauchboot war direkt neben dem Wrack auf Grund gegangen, was Dirk bei seinem Blick durch das U-Boot-Fenster erkannt hatte.
Dirk kroch nach vorn und klemmte die Stange zwischen den Sitzrahmen und den Sockel, der gegen Summers Bein drückte. Dann packte er das freie Ende und zog daran wie ein Ruderer im Olympia-Achter. Das Metall, das den Sitz stützte, gab sofort nach und gestattete Summer, ihren Fuß zu befreien. Sie umarmte Dirk erst noch, dann gab sie mit dem Daumen das Zeichen »Aufsteigen!«.
Dirk richtete die Taschenlampe auf die offene Luke und gab Summer einen Stoß. Sie hatten eine gefährlich lange Zeit in einer Tiefe von fast einhundert Metern verbracht und wussten, dass sie sich kein langes Trödeln mehr erlauben durften.
Summer wartete vor dem U-Boot auf ihn, und sie verschränkten die Arme miteinander und begannen gemeinsam mit dem Aufstieg. Gemächlich schlugen sie mit den Beinen und nutzten die aufsteigenden Bläschen ihrer ausgeatmeten verbrauchten Luft als Geschwindigkeitsmesser. Zu schnell aufzutauchen wäre ein sicherer Auslöser für die Dekompressionskrankheit, darum achtete Dirk darauf, dass sie hinter den schnell hochwirbelnden Luftblasen deutlich zurückblieben.
Es dauerte anscheinend eine Ewigkeit. Summer war für die körperliche Anstrengung, die ihre durchgefrorenen Knochen ein wenig aufwärmte, zwar dankbar, aber ihr Geist schien ihr noch immer Trugbilder vorzugaukeln, indem er den Eindruck vermittelte, dass sie eigentlich gar nicht aufstiegen, sondern in Wirklichkeit in die Tiefe zurücksanken. Es war die Kälte, sagte sie sich, die ihre Sinne sowie ihre Gliedmaßen betäubte. Sie klammerte sich an Dirk, der sich wie ein Roboter bewegte und offenbar gegen die Kälte völlig immun war.
In einer Tiefe von fünfzig Metern hellte sich die Umgebung merklich auf, weil das Licht über der Wasseroberfläche bis in diese Tiefe vordrang. Bei vierzig Metern passierten sie eine Thermokline, während die Wassertemperatur merklich anstieg. Und bei knapp dreißig Metern ging Dirk die Atemluft aus.
Allerdings war dies keine Überraschung für ihn. Wegen seines anstrengenden Ausflugs zum Schiffswrack – um den Flaggenmast zu holen – wusste er, dass sein Luftvorrat lange vor Summers erschöpft wäre. Indem er mit der Hand eine Bewegung ausführte, als würde er sich den Hals durchschneiden, teilte er Summer sein Problem mit, dann trennte er sich von seiner Luftflasche und dem Atemregler. Sie reichte ihm ihren Regler, und sie bedienten sich abwechselnd von
Weitere Kostenlose Bücher