Unterdruck: Ein Dirk-Pitt-Roman (German Edition)
Schleusen zu verhindern, hätte nur zur Folge, dass Pitt ebenso wie Dirk und Ann unter irgendeinem Vorwand so lange verhaftet würde, bis die Santa Rita sich unerreichbar auf hoher See befand. Er musste eine andere Möglichkeit finden.
Während er am Seeufer entlangdampfte, bemerkte er einen alten, mit Morast beladenen Lastkahn, der in der Nähe des Damms ankerte. Er blieb auf Kurs, beschrieb vor der Schleuse einen weiten Bogen und passierte das Kreuzfahrtschiff, das ihm vage bekannt vorkam. Er ließ sich zurückfallen, um seine Vermutung zu bestätigen und den Schiffsnamen unter dem leicht beschädigten Achterdeck lesen zu können. Dann lächelte er, während ein Plan in seinem Kopf Gestalt annahm.
»Wunderbar«, murmelte er. »Einfach wunderbar.«
80
»Käpt’n, Sie werden per Funk von dem Kanalschlepper an Backbord neben uns angerufen.«
Kapitän Franco trat zur anderen Seite der Kommandobrücke des großen Kreuzfahrtschiffes und nahm dem Deckoffizer den Hörer aus der Hand.
»Hier ist die Sea Splendour , Kapitän Franco am Apparat.«
»Guten Morgen, Käpt’n. Hier ist Dirk Pitt.« Er streckte den Kopf aus dem Ruderhaus des Schleppers und winkte dem Kreuzfahrtschiff.
»Pitt, mein lieber Freund!«, antwortete der Kapitän freudig überrascht. »Wie klein die Welt doch ist! Was tun Sie hier? Arbeiten Sie jetzt für die Canal Authority?«
»Nicht ganz. Wir haben hier zurzeit eine kritische Situation, und ich bräuchte Ihre Hilfe.«
»Natürlich. Ihnen verdanke ich schließlich mein Schiff und meine Karriere. Was haben Sie auf dem Herzen?« Er unterhielt sich noch einige Minuten mit seinem Anrufer, dann legte er mit düsterer Miene den Hörer auf. Er ging zu dem Kanallotsen hinüber, der ihm amtlich zugewiesen war, am Ruder stand und ihre Passage überwachte.
»Roberto«, sagte der Kapitän mit einem verkrampften Lächeln, »Sie sehen hungrig aus. Warum gehen Sie nicht einfach mal runter in die Kantine und essen eine Kleinigkeit? Wir rufen Sie auf die Brücke, wenn die Schleusen von Pedro Miguel in Sicht kommen.«
Der grauhaarige Lotse, der gerade gegen einen massiven Rumkater ankämpfte, lebte bei dem Angebot sichtlich auf. »Vielen Dank, Käpt’n. Hier ist der Kanal so breit wie ein See, Sie werden also keine Probleme kriegen.« Damit verließ er die Kommandobrücke.
Der Erste Offizier sah Franco verwundert an. »Das ist höchst ungewöhnlich, Käpt’n. Was haben Sie vor?«
Franco trat zum Ruder und schaute mit einem leeren Blick aus dem Fenster. »Was schon? Ich schließe mit einer Karriere ab, die eigentlich schon in Valparaiso hätte enden sollen«, sagte er leise und befahl dann, den Kurs des Schiffes zu ändern und zu wenden.
Pitt war mit dem Schlepper zum Kreuzfahrtschiff auf Distanz gegangen und hielt jetzt geradewegs aufs Ufer zu. Sein Ziel war der rostige Lastkahn, der bei den ständigen Ausschachtungsarbeiten im Kanal Verwendung fand. Nahezu vollständig mit zähem Morast gefüllt, lag er tief im Wasser und wartete, zum Pazifik geschleppt zu werden, um sich endlich seiner übel riechenden Last entledigen zu können.
Pitt ging an der dem Land zugewandten Seite des Kahns längsseits, machte den Schlepper an der Reling fest und eilte über den Laufsteg, der parallel zur Längsachse des Kahns in seiner Deckmitte verlief. In der Nähe des Bugs fand er den Festmacher des Kahns, ein dickes Tau, das er mühsam aus einer massiven Klampe herauszerrte. Dann warf er das Tau über Bord und kehrte eilends auf den Schlepper zurück, um seinen Plan in die Tat umzusetzen.
Er lenkte den Schlepper gegen die Rumpfseite des Frachtkahns und drückte ihn behutsam in tieferes Wasser. Er trieb in Richtung der Hauptfahrrinne, daher suchte sich Pitt eine neue Position an dem abgeflachten Heck des Kahns und schob ihn in Richtung der Schleusen.
Ein paar hundert Meter weiter entfernt lag das chinesische Schiff Santa Rita bereits vor der Schleuse und wartete darauf, dass die Tore geöffnet wurden. Ein Blick über die Schulter zeigte Pitt, dass die Sea Splendour in seinem Kielwasser folgte, nachdem sie unter Einsatz ihrer vorderen Strahlruder fast auf der Stelle gewendet hatte.
Als Pitt die Sea Splendour – das Kreuzfahrtschiff, das er in Chile hatte retten helfen – gesichtet hatte, war ihm zuerst der Gedanke gekommen, sie möglicherweise zu benutzen, um die Zufahrt zur Schleuse zu blockieren. Aber die Santa Rita hatte dort bereits Position bezogen, so dass das Kreuzfahrtschiff keinen Platz mehr gefunden hätte,
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